Raja und Kai im Urlaub in Porugal im Juli 2016

„Ich muss das lernen!“

Nachdem Kai Ende Oktober 2015 nach Hause zurückgekehrt war, musste er seinen neuen Alltag erst mal strukturieren, um nicht in ein Loch zu fallen. „Eine Woche ausruhen“ gönnte er sich, erzählt er mir, bevor er wieder mit den Therapien startete. Zunächst kamen die Therapeuten zu ihm nach Hause, doch dort wurde es schnell zu eng für Physio und Ergo. Also musste ihn immer jemand zu den Therapien fahren, was zusätzlichen Organisationsaufwand bedeutete. Im März 2016 wurde ihm daher ein E-Rollstuhl bewilligt, mit dem er diesen Weg nun allein zurücklegen konnte. Allerdings nur „laaangsam“ seufzt Kai und ich erzähle ihm den Witz von dem Fußgänger, der den E-Rolli-Fahrer fragt „Was macht der Spitze?“ – „5 km/h“, sagt der Rollifahrer. – Antwortet der Fußgänger: „Oje, da kannste auch laufen.“ 😉

Voller Stundenplan

Das mit dem Laufen musste Kai aber erstmal trainieren. Inzwischen geht es schon ganz gut, mal zum Markt oder den Kleinen vom Hort abholen. Das liegt alles in Umkreis weniger hundert Meter. Aber zur Therapie ist es doch noch zu weit zu laufen, v.a. weil er ja auch wieder zurück kommen muss… Aber dafür einen E-Rolli zu nutzen? Vielleicht gibt es da ja auch noch andere Möglichkeiten?

Kais Stundenplan ist jedenfalls gut ausgelastet: „Montag: Ergo, Mittwoch: volles Programm! Physio, Ergo UND Logo, Donnerstag: nur Logo“ zählt er mir auf und grinst: „Freitag: Urlaub!“. Dienstags trifft sich außerdem für zwei Stunden die Aphasie-Selbsthilfegruppe, mit der nachher auch Chorsingen veranstaltet wird. Singen funktioniert nämlich leichter als Sprechen, da dabei andere Hirnareale beansprucht werden. Außerdem macht es gute Laune, wie mir Kai erzählt, auch wenn er der Jüngste in der Gruppe ist. Gesungen wird „alles Mögliche“, sagt Kai.

Zusammen geht’s besser

Im Juni/Juli 2016 ging es dann auch in den ersten Urlaub. Für alle, die „Willkommen im Meer“ gelesen haben, dürfte auch klar sein, wohin. 😉 Genau: Nach Portugal. Dort entstand auch das Titelfoto dieses Artikels. „Mit Raja in Portugal am Strand“, erinnert sich Kai.

Am Anfang sei es für die Familie nicht leicht gewesen, erzählt er mir. Der große Sohn war schon ausgezogen, die Tochter mitten in der Pubertät. Nur der Kleine nahm die Veränderungen erst mal als gegeben hin, auch wenn er den Rollstuhl „doof“ fand. „Inzwischen wieder eine Clique“, freut sich Kai, und das ist auch der Eindruck, den ich beim täglichen Skypen gewinne. Auch seine Freunde sind noch da. „Noch stärkerer Zusammenhalt“ beschreibt Kai die Freundschaft und setzt augenzwinkernd hinzu: „alternativ, weißte?“. Wohl dem der solche Freunde hat!

Digital unterwegs

Wenn Kai allein ist, surft er im Internet oder schaut Streaming-TV oder DVDs. Wir empfehlen uns immer wieder Netflix-Serien und reden auch darüber, z.B. über die neuen Folgen von „Chef’s Table“, einer ganz besonderen Dokumentation über Köche in aller Welt. Als alter Douglas Adams Fan legt Kai mir auch „Last chance to see“ ans Herz. Eine DVD-Reihe mit Stephen Fry, auf der Suche nach Tieren, die vom Aussterben bedroht sind. Zusammen beömmeln wir uns über die Britishness von Stephen, die so gar nicht in den Amazonas oder in die afrikanische Steppe passt. „Oh my goodness!“ 😉

Überhaupt läuft es mit dem Unterhalten immer besser. Im Messenger schickt Kai mir immer öfter Wörter statt Smilies und via Skype werden seine Redebeiträge immer ausführlicher und häufiger. Das Digitale ist halt sein Ding!

Neue Herausforderungen

Leider fordert ihn Skype selbst Anfang der Woche heraus: Ohne eigenes Zutun ist Kai plötzlich aus seinem Account abgemeldet und kommt nicht mehr rein. Ich biete ihm an, das Passwort zurücksetzen zu lassen, aber er sagt „Die Nummer gibt’s nicht mehr!“ und meint damit die Mailadresse. (Ein Symptom bei Aphasie ist das Vertauschen von Wörtern.) Wir stellen verschiedene Theorien an, kommen der Sache aber nicht auf die Spur und schließlich muss dann halt doch ein neuer Account her. Den zu registrieren kostet Kai zwar einige Zeit und Nerven, aber Helfen is nich! „Ich muss das lernen!“, betont er immer wieder und wurschtelt sich alleine durch. Wenig später sind wir wieder drin. 🙂

„Samstag: Vechta!“ erzählt er mir, „Wählen!“. Die Landesmitgliederversammlung des Aphasie-Verbands steht an und ein Mitglied von Kais Oldenburger Selbsthilfegruppe kandidiert für den Vorsitz. Sollte er gewinnen, möchte er Kai als Stellvertreter haben. Wie die Chancen stehen, frage ich ihn. „Mal sehen“, sagt Kai. Ich werde auf jeden Fall die Daumen drücken!

UPDATE: Der genannte Kollege wurde 2. Vorsitzender und Kai zum Beisitzer.


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