Tränen eines Gottes

Zum Start einer fünfteiligen Fantasy-Reihe mit dem Titel „Der Seelensammler“ hat Kai-Eric Fitzner den Roman „Tränen eines Gottes“ via amazon selbst veröffentlicht. Auch dieses Manuskript stammt noch aus der Zeit vor seinem Schlaganfall. Als weitere Teile sind geplant: „Fluss der Zeit“ (2), „Wächter der Welt“ (3), „Klang des Windes“ (4) und „Herz eines Drachen“ (5).

Tränen eines Gottes ist via amazon erhältlich als Taschenbuch oder für Kindle.

Tränen eines Gottes

Kein Laut drang aus dem belebten Park durch die rostigen Torflügel in den verwilderten Garten der Kapelle. Ebenso wenig Zahllose Schlangen, Schnecken und anderen Bewohner des verwilderten Gartens schreckten aus ihrem Tagwerk, das seit Anbeginn der ihnen bekannten Zeit aus Stille und Fressen bestanden hatte, als das rostige Tor in der verwitterten Granitmauer sich knarrend öffnete. Der Mann, der die Torflügel aufgeschoben hatte, ging behutsamen Schrittes durch den Garten, während das Getier und Gewürm zu seinen Füßen das Weite suchte. Er bahnte sich seinen Weg durch diese kleine, vergessene Welt, bis er schließlich das Tor zu dem Gebäude erreichte. Die beiden Torflügel waren versperrt, aber direkt neben dem Tor war ein erhebliches Loch in der Außenwand, durch das er in die alte Kapelle schlüpfen konnte .Im Inneren des Gebäudes, dessen Dach, abgesehen von einigen morschen Balken, vollständig eingestürzt war, sog er die Aura des Raumes ein. Er watete durch die Trümmer, die den gesamten Boden zum Teil kniehoch bedeckten, bis zu einem verrotteten Schrein auf der gegenüberliegende Seite. Bei aller Sorgfalt, die er beim Öffnen des antiken Holzes walten ließ, konnte er nicht verhindern, dass einer der Türflügel brach wie ein vertrocknetes Blatt. Das Fresko im Schrein war verwittert und nur zur Hälfte erhalten. Dort, wo bei dem verfremdeten Männergesicht das linke Auge sein sollte, klaffte ein Krater bis zur Rückwand des Schreines. Der Mann öffnete seine Umhängetasche und holte einen Stein, eine Schale und eine in schwarzes Tuch gehüllte Kugel hervor. Der Stein war das im Fresko fehlende Stück, welches er vorsichtig einsetzte. Danach platzierte er die Schale unterhalb des wiederhergestellten Gesichts und rückte sie mit Hilfe prüfender Blicke in den Himmel hin und her, bis er mit ihrem exakten Standort zufrieden war. Schließlich schlug er das schwarze Tuch zurück und berührte die darin verborgene, funkelnde Kugel mit den Fingern seiner rechten Hand. Sein Lippen formten stumme Worte als er die Hand zum Fresko führte, und die Stirn des Gesichts berührte. Dann schlug er die Kugel wieder in das Tuch und verstaute sie in seiner Tasche. Er ging zur Öffnung in der Wand und zwängte sich hindurch. Und während der Mann durch den verwilderten Garten davonging, bildete sich im Augenwinkel des Fresko eine Träne, die mit einem feinen, hohen Ton, wie von einer Nadel auf Glas, in die Schale fiel.