Bei seinem aktuellen Besuch in Bonn hatte Kai sich Hausaufgaben von seiner Logopädin mitgebracht. Da er durch seine Aphasie Probleme hat, Wörte zu finden, oder richtig zuzuordnen, sollte er üben, Oberbegriffe zu Gruppen von jeweils drei Wörtern zu finden. Das wäre ihm vor wenigen Monaten noch schier unmöglich gewesen. Jetzt aber, kann er die Wörter nicht nur schon gut lesen, sondern auch gut zuordnen Bei den Oberbegriffen war dann aber nicht nur er gefordert. Besonders bei einer Frage standen auch Thomas und ich erstmal ratlos da:
Finde den Oberbegriff zu:
Da keinem von uns was dazu einfiel, stellten wir das erstmal zurück. Andere Wortgruppen wie Gras/Blätter/Erbsen waren dann aus anderen Gründen tricky. Farben sind für Kai noch schwierig zuzuordnen. So weiß er hier zwar, dass alle drei dieselbe Farbe haben, aber wie man die spricht und schreibt, ist dann eine andere Sache. Aphasie ist wirklich eine komplizierte Sache…
Wieder andere Wortgruppen hätte manch einer vermutlich mit dem nächstgelegenen Begriff beantwortet: Pferd/Hund/Katze z.B. mit „Tiere“. Kais Hirn schickte ihm stattdessen, das ebenso richtige, aber um einiges komplexere „Säuger“. Genauso bei Sonne/Mond/Sterne: Statt „Himmelskörper“ platzte aus Star-Trek-Kenner Kai sofort ganz selbstverständlich „Milchstraße“ heraus.
Auch bei mündlichen Übungen, die wir am nächsten Tagen machten, gab Kai sich nie mit dem Offensichtlichen zufrieden: Auf „Nenne mal drei Instrumente.“, antwortete er „Tuba, Oboe und Geige“. Manche Frage wie die nach drei Bestandteilen vom Bett („Kissen, Decke, Matratze“) war ihm gar von Anfang an zu profan.
Aber zurück zu den Hausaufgaben: Die Suche nach dem Oberbegriff von Glas/Baumwolle/Papier gestaltete sich schon schwiergier. Und als das Wort dann endlich raus war und geschrieben vor ihm stand, meinte Kai: „Ach… material (englisch gesprochen)!“ und fing an „Material Girl“ von Madonna zu singen. „Sag das doch gleich!“, flachste er.
Dieses Vermischen von Englisch und Deutsch ist auch typisch für Kais Aphasie. Oft fallen ihm Begriffe in Englisch eher ein und so kann ein Satz dann schon mal aus deutschen und englischen Wörtern bestehen. Als mir dann endlich die Lösung zur ganz oben genannten Frage einfiel, machte ich mir das Sprachen-Vermischen zunutze, und fragte ihn: „In my kitchen I’m using many….?“ und bekam ganz prompt und selbstverständlich „utensils“ zur Antwort. Direkt übersetzen kann Kai durch die Aphasie meist nicht, also kämpfte er sich zunächst durch das Aufschreiben des englischen Worts durch, um dann am Schriftbild zu erkennen, wie das deutsche Wort heißt: „Utensilien!“
Unnötig zu erwähnen, dass ich stolz wie Bolle auf ihn bin! Noch vor wenigen Monaten wäre so eine Aufgabe völlig undenkbar gewesen. Heute kann er sie relativ zügig lösen, wobei das natürlich wie immer vor der Tagesform abhängig ist. Aber auch für den chronisch ungeduldigen Kai ist inzwischen nicht mehr zu leugnen, dass es zwar langsam aber stetig bergauf geht.
Durch die Erfahrung aus den vergangenen Monaten wissen wir mittlerweise auch besser einzuschätzen, was es zu bedeuten hat, wenn es mal stockt. „Ein Schritt zurück und dann zwei vor“ sagt Kai dazu, denn seine Fortschritte gehen immer denselben Weg: Nach einer sehr aktiven Phase scheint das Gehirn eine Pause zu brauchen und Anlauf zu holen bevor es dann wieder einen ordentlichen Sprung nach vorn tut.
Titelfoto © Annette Schwindt
macht beruflich was mit Kommunikation. Seit Anfang 2017 Kais Chronistin hier im Blog und Organisatorin von #einRadfuerKai. Bildet seitdem mit Kai und ihrem Mann Thomas #teamsutsche. Bloggt privat auf
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