Eine #Pagode für Pegida

Es ist ein Zeichen von Empathie, die Sorgen seiner Mitmenschen ernst zu nehmen. In den frühen 90er Jahren sorgte sich mein Opa zusammen mit einigen anderen tausend Mitbürgern in Bremen um den Fortbestand des Abendlandes. Ein gewisser Gerhard Frey tingelte damals durch die aufkeimende Talkshow-Landschaft und gab dort den besorgten Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Onkel. Kernig sagte er, man habe Anno 1683 die Türken vor Wien nicht geschlagen, um ihnen heute kampflos ganz Europa zu überlassen. Der Satz ist aus der Erinnerung paraphrasiert, weil meine Notizbücher aus den 90ern in irgendeiner Kiste auf dem Dachboden oder im Keller schlummern. Passend dazu gab es einen Wahlwerbespot, in dem ein listiger Ausländer im Rathaus alle denkbaren Sozialleistungen abschöpfen wollte, was nur Freys Deutsche Volksunion verhindern könne. Mein Opa las sich das Parteiprogramm durch und fand, dass vieles von dem, was er dort las – ein Sammelsurium von Gemeinplätzen und erfundenen Bedrohungen – durchaus ernst zu nehmen sei. Denn schließlich müsse das ja alles wahr sein, sonst dürfe man das nicht sagen oder drucken. Man sehe ja außerdem in den Straßen, dass da überall Ausländer rumlaufen, die nicht Fußball spielen, Ente süß-sauer herrichten oder Ouzo servieren. Nach vielen fruchtlosen Streitereien habe ich seine Attitüde unter Altersstarrsinn verbucht und vergeblich gehofft, dass ihm der falsche Anschein einer Bedrohung des Abendlandes ein Lichtlein aufgehen lassen würde.

Da mein Opa inzwischen den Weg des Norwegischen Blaulings („beautiful plumage“) gegangen ist, kann ich mir nur ausmalen, wie seine Reaktion auf Pegida ausgefallen wäre. Er hätte mir Pegidas Thesenpapier vorgelegt und mich gefragt, was ich denn daran auszusetzen hätte. Und ich hätte mich redlich bemüht, ihm darzulegen, dass es sich bei diesem Positionspapier um ein Strohmann-Argument handelt: Irgendeine Bedrohung herbei zu fantasieren und diese dann euphorisch zu bekämpfen, um bestehende Ressentiments bei potentiellen Mitstreitern zu bedienen, die sich vor Kulturbolschewisten, Sozialdemokraten, Juden, Gewerkschaften, Freidenkern und Gottlosen-Vereinigungen fürchten. Hoppla, da bin ich jetzt um 80 Jahre in der Zeit verrutscht und habe die gute alte „Nazikeule“ herausgeholt, die man den Pegidasten immer zu Unrecht vor den Kopf haut. Das ist natürlich nicht die aktuelle Liste der Bedrohungen, sondern eine Auflistung der wahren Feinde des Deutschtums, wie sie der Hüttler Anno Dunnemals (1932) in einer Rede als die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit aufführte.

In den Diskussionen der vergangenen sechs oder so Wochen mit „patriotischen Europäern“ in den sozialen Netzwerken zeigt sich, dass die Feinde jetzt natürlich ganz andere sind. Neben den Islamisten, vor deren Unterwanderung oder Übernahme der „christlich-jüdischen“ Abendlandkultur man sich hier fürchtet, wären da die Linken, die Antifa, die Antideutschen, die Gutmenschen und die Phalanx der mit „Gender Mainstreaming“ „ethnische Bruchlinien“ produzierenden Armee der Political Correctness. „Argumente“ hierfür werden, wenn nicht bei Hüttler selbst, so gerne bei Spengler oder der Jungen Freiheit eingesammelt. Man weiß gar nicht wo man dem Kopfschütteln anfangen soll, geschweige denn aufhören.

Der pseudo-argumentativ erschaffene linke Strohmann, den man wütend als Ideologen beschimpft und ihm vehement und boshaft unterstellt, mit ihm sei keine sachliche Diskussion möglich, weil er immer unter die Gürtellinie geht und die Nazikeule auspackt, hat auch ein paarundachtzig Jahre nach seiner Beschwörung durch den Postkartenmaler seine Gestalt nicht großartig verändert. Der einzige Unterschied ist, dass die „Bewegung“ plötzlich den jüdischen Anteil an der Abendlandkultur mitschützen möchte, was recht offensichtlich eine Nebelkerze ist, um sich nominell und prophylaktisch von den unweigerlichen Nazi-Vorwürfen distanzieren zu können. Wie groß aber ist die Distanzierfähigkeit zu folgendem kleinen Bonmot?

“Deshalb ist es in eurem Interesse, den Brüdern (…) dabei zu helfen, die Kultur-Marxisten und Multikulturisten hier in Europa zu besiegen. Reist hierher, überweist Gelder, gebt eure moralische Unterstützung, werdet selbst zu Märtyrern in diesem Kampf.“

Anders Breivik hat’s gesagt und gemeint, aber der war ja irre und kein Islamist. Die Islamisten morden im Gegensatz zu den Vertretern der White Supremacy-Bewegung nämlich, wie man in Paris am 11. Januar beobachten konnte, im Namen Allahs und sind daher in der Paralogik der „Bewegung“ Beleg für die Bedrohung der fabulierten Islamisierung des Abendlandes. Dabei ist Islamisierung keine reale Bedrohung, ebenso wenig wie eine Alien-Invasion, die antideutsche kommunistische Gutmenschenverschwörung oder ein Angriff feuerspeiender Dinosaurier. Ist es wirklich ein Zeichen von Empathie, die Sorgen seiner Mitmenschen ernst zu nehmen?

Alterstarrsinn hin oder her – aus den Äußerungen meines Opas habe ich lediglich eine diffuse Angst vor Veränderungen heraushören können. Ein Angst vor Veränderungen dessen, was er von den konservativen Kräften geschützt sehen wollte. Eine Angst vor Veränderungen, weil es ihm schwer fiel, Veränderungen zu umarmen, als Gelegenheiten, als Würze im Leben zu begreifen. Wenn man den aktuellen Studien zur Zusammensetzung der „Bewegung“ Glauben schenken darf, dann teilt ein nicht unerheblicher Batzen Volk diese Sorgen vor dem Unbekannten. Wie leicht es diesem Batzen fällt, sich der Argumentationsparalogik der Nazis nicht zu verschließen – bei gleichzeitiger Leugnung der Parallelen – ist das, was uns wirklich Sorge bereiten sollte.

Meinem Opa hätte ich gerne einen Strohmann erfunden, an dem er seine Sorgen hätte abarbeiten können. Ein kleines Tempelchen, in dem den Reliquien der alten Welt gehuldigt werden kann, ohne dass eine neue Welt dadurch in Gefahr gerät. Eine Prise halluziniertes Ressentiment müsste man schon dazu geben, damit es wirkt. Vielleicht eine Bedrohung der deutschen Küche durch Knoblauch, rohe Zwiebeln und „mit scharf“ an Eisbein und Schäufele. Errichten wir diese #Pagode für die „Patriotischen Analphabeten gegen die Osmanisierung deutschen Essens“ neben dem Dönerstand für ein friedliches Miteinander. Mahlzeit.

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