Es ist etwas mehr als ein Jahr her, dass ich mich auf Kais Wunsch aus seinem Blog verabschiedet hatte. Es gab immer öfter teils heftigen Streit, was dann im Februar 2019 zum vollständigen Bruch zwischen uns führte. Es folgte eine schlimme, schmerzhafte Zeit, in der absolute Funkstille zwischen uns herrschte. Kai meldete sich aus fast allen sozialen Netzwerken ab und nahm sogar diese Website vom Netz. Plötzlich änderte er alles in seinem Leben ins genaue Gegenteil und niemand verstand, warum er das tat. Erst später sollte ich nach einiger Recherche in Sachen Schlaganfall verstehen lernen, was passiert war. Denn offensichtlich ist das Ganze gar keine seltene Entwicklung in solchen Fällen und deshalb haben wir auch beschlossen es hier festzuhalten:
Nochmal neu erwachsen werden
Wenn jemand einen so schweren Schlaganfall wie Kai überlebt, dann wacht er quasi im Zustand eines Babys wieder auf und muss alles neu lernen. Dabei durchläuft er dieselben Phasen seines bisherigen Lebens noch einmal, nur eben wie in Zeitraffer. Welche Auswirkungen Aphasie dabei hat, haben wir ja hier schon beschrieben:
Als Kai und ich uns kennenlernten, begann in seiner Rekonvaleszenz gerade das Äquivalent zur Pubertät. Dabei nabelte er sich zunächst von seinem alten Leben ab, wuchs dabei aber mit meinem Mann Thomas und vor allem mit mir sehr schnell sehr nah zusammen. Was zunächst als Unterstützung in Sachen Crowdfunding begonnen hatte, wurde zur Zweitfamilie.
Doch wie das bei Teenagern manchmal so ist, geriet Kai leider irgendwann an eine Person, die keinen guten Einfluss auf ihn ausübte. Es dauerte eine Weile bis er sich – aphasiebedingt – der Sache so bewusst wurde, dass er der Beziehung ein Ende setzen konnte. Zu dem Zeitpunkt war es aber für einige Freundschaften schon zu spät…
Auch mit uns musste er sich erst langsam wieder annähern und in mehreren Gesprächen aufarbeiten, was zwischen uns zerbrochen war. Vielleicht musste es auch so einen großen Knall zwischen uns geben, um von dieser extrem schnell gewachsenen Nähe zu einem erwachsenen Miteinander finden zu können? Jedenfalls sind wir inzwischen wieder Freunde und nach einigen Gesprächen hat mich Kai gebeten, hier wieder für ihn zu schreiben.
Wie es Kai inzwischen geht
Im kommenden Mai sind es fünf Jahre seit dem Schlaganfall, inzwischen ist Kai dauerhaft verrentet. Zum selben Datum im Mai steht auch Kais 50. Geburtstag an. Dass er den jetzt wegen des Corona-Virus nicht wie geplant groß feiern kann, wurmt ihn. „Vielleicht im August?“, hofft er. Auch dass er – bis auf gelegentliche Spaziergänge um den nahgelegenen See (inzwischen ohne Stock!) oder zum Einkaufen – zuhause in seiner WG festsitzt, ärgert ihn. Schließlich liebt er es weiterhin, mit seinem Liegefahrrad aus der Crowdfunding-Aktion #einRadfuerKai durch die Gegend zu radeln. Auch wenn ihm kürzlich noch jemand den Bordcomputer abgerissen und gestohlen hatte, der auch die Gangschaltung des inzwischen hilfsmotorisierten Rads regelt. Zum Glück bekam Kai schnell Ersatz, so dass er das Rad jetzt wieder normal benutzen kann.
Kais Therapien fallen dank Corona-Virus bis auf Weiteres aus, so dass wir darüber nachdenken, wieder öfter videozuchatten, da Kai mangels Rausgehen sonst nur wenig Ansprache hätte. Seine Fähigkeiten zu lesen und zu schreiben haben sich inzwischen etwas verbessert, sind aber weiterhin nicht so gut, dass er längere Texte vollständig verstehen oder verfassen könnte. Das Sprechen hat sich insofern verbessert, als dass er jetzt komplexere Sätze bilden kann und auch nicht mehr nur in Ich-Form kommuniziert, oder alles, was nicht benannt werden kann „Der Mann“ heißt. Komplexe Sachverhalte zu erklären oder die Wortfindung sind allerdings noch so eine Sache…
So unterhielten wir uns kürzlich darüber, dass Alkohol angeblich gut gegen das Corona-Virus sei und Kai meinte: „Ja genau. Und Arsen.“ Und schon während er dies sagte, schaute er mich verdutzt an, wohl wissend, dass die Aphasie da wieder ein Wort umbenamst hatte in etwas, das er gar nicht sagen wollte. „Nee!“, lachte er kopfschüttelnd und grübelte nach dem richtigen Wort. Aber er konnte es nicht mehr zu fassen bekommen. Statt dessen beömmelten wir uns über das Arsen und haben nun eine weitere aphasiegeborene Redewendung, die wir bewusst behalten werden. Denn eins hat Kai zum Glück nicht verloren: Die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können. 😉
Fotos: Kai-Eric Fitzner
macht beruflich was mit Kommunikation. Seit Anfang 2017 Kais Chronistin hier im Blog und Organisatorin von #einRadfuerKai. Bildet seitdem mit Kai und ihrem Mann Thomas #teamsutsche. Bloggt privat auf
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