Dieser Text ist die Fortsetzung der Kolumne „Ein Schatzkartenschatzmarkierungskreuz für eine Zeitkapsel“ und stammt ebenso wie sein Prequel aus dem Jahre 2004, weshalb sich in diesem Text Referenzen zu Tabakwaren finden, was heute nicht mehr geschehen würde, und zum Verzehr von Alkohol zumindest unterschwellig animiert wird. Das ist schlimm. Ganz schlimm ist das. Wer denkt denn an die Kinder? Jemand muss doch an die Kinder denken! Warum denkt denn niemand an die Kinder? Die Kinder leiden doch am meisten unter allem. Wie dem auch sei: es findet sich außerdem ein latent technologiefeindlicher Kommentar. Wer den findet und im Kommentar darauf hinweist bekommt einen Lobestweet zur Prime Time auf Twitter von „yours truly“ wie man so schön sagt und darf mitentscheiden, welcher Text als nächstes veröffentlicht wird. Ist das stark?
Kürzlich entsprang meiner Feder (eigentlich sind es viele kleine Federn unter den Tasten auf dem Keyboard meines Computers) eine Empfehlung an die werte Leserschaft, nämlich die, sich das wunderbare Buch „Die Brautprinzessin“ von William Goldman zu Gemüte zu führen, oder, wahlweise, den gleichnamigen Film. Dies war in vielerlei Hinsicht eine törichte Empfehlung, die ich nun revidieren muss. Der gleichnamige Film trägt gar nicht den gleichen Namen wie das gleichnamige Buch, zumindest in der deutschen Übersetzung nicht. Die gleichnamige Verfilmung des Buches „Die Brautprinzessin“ von William Goldmann heißt im Deutschen „Die Braut des Prinzen“. Da es sich um die amerikanische Nacherzählung eines bedeutsamen Teils florinesischer Geschichte handelt, ist der Originaltitel in englischer Sprache als „The Princess Bride“ erschienen. In jenem angloamerikanischen Kulturkreis heißt denn auch der Film so wie das Buch. Hierzulande scheint es aber einige stillschweigende Abkommen zwischen Teilen des Filmverleihs und der Buch- und Dialogbearbeitung zu geben, deren Vertreter sich bei Literaturverfilmungen eher die Hände abhacken würden, als die bereits übersetzte Literatur zu Rate zu ziehen. Wie sonst ist es möglich, dass eine Fehlübersetzung wie „Die Braut des Prinzen“ der Verleihtitel dieses Filmes geworden ist, obgleich sich doch ein gestandener Übersetzer gut zehn Jahre zuvor das Hirn zermartert hatte, wie man eine so eigentümliche Phrase wie „The Princess Bride“ dem Deutschen an sich, also sprachlich wie auch menschlich, näher bringen könnte.
Aber die Filmmenschen scheinen ja ohnehin ein besonderer Personenschlag zu sein. Bestimmt saßen die schillernden Vorstände des Filmverleihs bereits auf gepackten Koffern, um unter der hippen Sonne des noch hipperen Kaliforniens neue, weltbewegende Deals zu signen, als sie unverhofft die Kunde ereilte, man müsse noch rasch zu einem Meeting (heutzutage trifft man sich halt nicht mehr, man meetet), um die neuesten Perlen unter den Verleihtiteln kreativ zu kritisieren. Da kamen dann Filmtitel aufs Tapet, wie „Black Eagle“, der den hyperhippen Filmverleihvorstehenden nicht krachig genug rüberkam, weswegen sie sich entschlossen, den Film in Deutschland unter dem Namen „Red Eagle“ in den Videotheken zu versenken. Aber damit nicht genug: während den Executives, wie man sie ja nennen muss, möchte man nicht als anarchischer Globalisierungsgegner und Freihandelsfeind verschrien werden, die kostbare Zeit bis zum Abheben ihres Fliegers buchstäblich unter den gepackten Koffern dahin schmolz, meldete sich ein kleiner Redakteur zu Wort, um aus seinem Ressort berichten. Man habe die Synchronisation von „The Princess Bride“ abgeschlossen und der Film könne unter dem Titel „Die Brautprinzessin“ in den deutschen Kinos Einzug halten. Laut war da der Aufschrei der kreativen Leitung, die sich die Exekutiv-Offiziere selbst übertragen hatten. „Was soll das denn bitte heißen, die Brautprinzessin? Das zieht doch niemanden ins Kino! So spricht doch heute kein Mensch mehr. Wer hat das denn übersetzt! Ja könnt ihr denn kein Englisch!“ So, oder so ähnlich hat man sich das wohl vorzustellen. Schließlich meldete sich der aalglatte CCO, der Chief Creativity Officer, zu Wort, um Aufklärung zu leisten. „Es ist ja wohl offenkundig, dass da jemand den Originaltitel falsch abgeschrieben hat. Der Titel lautet natürlich „The Prince’s Bride“, weswegen der deutsche Verleihtitel natürlich „Des Prinzen Braut“ oder so ähnlich lauten muss.“ Nach großem Hin und Her und Vorschlägen wie „Dem Prinz seine Braut“ kommt einer der Auguren, der in der Schule einen Leistungskurs Deutsch ins Abitur mit einfließen ließ, auf „Die Braut des Prinzen“, wofür ihm die Anderen anerkennend auf die Schulter klopfen und gemeinsam eine Schimpftirade auf den armen Redakteur entfachen, der, anständig wie er ist, versucht, anhand der Literaturübersetzung den verhängnisvollen Irrtum aufzuklären, und ihm wegen seiner offenkundigen Inkompetenz mit Entlassung drohen. Dann springen alle in die Firmenlimousine, damit sie den Flughafen beizeiten erreichen, um noch ein paar Gläser Schampus in der VIP-Platinum-Executive-Lounge schlürfen zu können.
Der Redakteur wurde später, nachdem der Film nicht einmal die Verehrer des Buches in die Kinosäle zu locken vermochte, vermutlich weil diese die Zuordnung „Brautprinzessin-Braut des Prinzen“ nicht zu vollbringen im Stande waren, dann doch noch entlassen, weil ja immer jemand entlassen werden muss, wenn ein unfehlbarer Verantwortungsträger die Verantwortung für einen Negativerfolg aus Karrieregründen ablehnt.
Nun hat diese bestimmt wahre Geschichte aber auch einen schalen Beigeschmack: Viele anständige Leser des löblichen und ebenso anständig ins Deutsche übertragenen literarischen Hochgenusses wissen bis heute nicht um die Existenz dieses cineastischen Leckerbissens. So fand ich mich selbst in der misslichen Lage, diesen Film einem deutschen Publikum näher bringen zu wollen, im Rahmen eines Videoabends. Für die jugendlichen Leser sei vermerkt, dass es sich bei einem Videoabend um ein geselliges Treffen mit anderen interessierten Filmeguckern handelt, auf welchem man sich gemeinsam amüsiert, trinkt, raucht, lacht, ordinär wird, Chips und Flips in sich hineinstopft und sich hinterher über die gemeinsam betrachteten Filme auslässt. Jeder führt dann im Stillen eine Liste darüber, welches der Videos man unbedingt erneut gemeinsam betrachten sollte. Die zu einem solchen Abend benötigten Videofilme kann man völlig legal gegen Entrichtung eines kleinen Obolus aus Institutionen wie Videotheken oder Büchereien beziehen. Es muss ja nicht alles über das Internet kommen, was Spaß macht.
Also eilte ich in einen Supermarkt, um die zum Verzehr bestimmten Waren zu erstehen. So etwas ist ja heutzutage ein wahres Kinderspiel, seit es Geschmacksrichtungen wie „Sweet Thai Chili“ oder „Mexican Flavour“ sogar für Erdnussflips gibt. Ein Hoch auf die Lebensmittelchemie! Getränke für einen geselligen Abend zu kaufen ist da ja schon schwieriger. Früher gab’s zu solchen Anlässen immer Bier, sonst nichts. Was anderes konnten wir uns damals nicht leisten – wir hatten ja nichts. Heute sind die Gäste leider immer sehr verwöhnt und trinken Caipirinha oder „White Russian“ und so Zeug. Dann trinkt einer nur trockenen Rotwein, eine andere nur halbtrockenen Sekt, „aber Rotkäppchen muss es sein, nicht diese spanische Plörre, die keiner aussprechen kann“. Mit solchen Aussagen konfrontiert, habe ich früher hitzige Diskussionen vom Zaun gebrochen, aber das führte nie zu etwas, also kaufe ich den Zonentrunk mittlerweile kommentarlos.
Mit einem Kofferraum voller Getränke, die in Menge und Vielzahl eher für eine Sylvesterparty auf dem Times Square angemessen erscheinen als für eine harmlose Filmverkostung, hielt ich alsbald klirrend vor einer Videothek, um den begehrten Film zu entleihen. Zielsicher betrat ich den Laden und verschaffte mir mit Kennermiene sofort einen Überblick über die dargebotene Kulturkost. Von insgesamt 30 Regalwänden waren 15 mit den neuesten uncineastischen Ergüssen aus kreativ gehemmten Massenfertigungsanlagen für Spezialeffekte belegt – alle ausschließlich auf DVD. Nicht, dass ich etwas gegen Spezialeffekte hätte, aber ich gewinne mehr und mehr den Eindruck, dass die entsprechenden Firmen, die man früher mit der Erstellung dieser, wie man heute wohl sagt, Visual Effects (als Fachmann hat man dies als Visual FX zu schreiben) beauftragte, heuer die Effekte auf Stange produzieren, damit weitsichtige Produzenten sich dort Inspiration für den Kassenschlager der Saison holen können. „Gute Visuals ziehen heute die Leute ins Kino, nicht so verschnarchtes Autorenkino“, höre ich da den Producer sagen. Ist ja so auch viel leichter. Wenn die Optik schon mal stimmt, dann kann auch ein ausgebrannter Regisseur ohne Drehbuch nicht mehr allzu viel Unheil anrichten. Junge wie Alte strömen in die Kinos und torkeln nach zwei Stunden reizüberflutet wieder raus. Man erinnert sich an „krasse Explosionen“ oder kommentiert Kameraeinstellungen, was mir nicht so sehr behagt, denn wenn nach dem Genuss eines Filmes selbst in meinem Kurzzeitgedächtnis nichts als Kamerafahrten und Explosionen haften geblieben sind, dann war es einfach kein guter Tag.
Doch zurück zur Videothek. Von den verbliebenen 15 Regalen waren 10 mit „Erotik“ besetzt, jenem Genre, welches wir früher Porno nannten. Geistesgegenwärtig wusste ich also gleich, dass ich mein Augenmerk auf die fünf Regale zu richten hatte, deren Inhalt sich nicht sofort erschloss, denn dort musste das Juwel, welches wir an jenem Abend zu schauen gedachten, schließlich dem Verleihvorgang harren. Aber, zu früh gefreut. Sicherlich gab es dort Filme, die ich schon länger nicht mehr im Fernsehen erblickt hatte, aber nicht, weil sie nicht liefen, sondern weil ich von Louis de Funés’ Gesamtwerk einen Großteil schon seit Jahrzehnten nicht mal mehr zum Schmunzeln finde. Mir wird ganz nostalgisch bei dem Gedanken, dass ich als präpubertierender Jüngling beim Anblick des forschen Franzosen schenkelklopfend vor dem Fernseher lag. Auch wollte ich „Sissi“ nicht sehen, auch wenn dies die Rotkäppchen-Fraktion erfreut und zu Dankbarkeitsbekundungen verleitet hätte, nein, ich wollte „Die Brautprinzessin“, Verzeihung, „Die Braut des Prinzen“. Also näherte ich mich der Personaltheke, wo sich zwei jugendliche Videofachkaufleute über krasse Explosionen und Kamerafahrten unterhielten und versuchte, mit einem schüchternen „Entschuldigung“ deren Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, was erstaunlicherweise auch sofort gelang. Scheinbar sind diese explosiven Gespräche nur auf den ersten Blick fesselnd. Ich fragte höflich nach dem ersehnten Film, worauf ich Blicke erntete, die sich mit im Duden aufgeführten Adjektiven nur sehr schwer beschreiben lassen. Hätte ich an einem heißen Sommerabend mit einem Bärenkostüm verkleidet in einem Biergarten singend und mit fünf Kokosnüssen jonglierend einen Glühwein bestellt, dann hätte ich solche Blicke erwartet. „Kinderfilme sind da drüben“, teilte mir einer der hageren Fachleute mit, worauf ich treudoof zum Kinderfilmregal stolzierte. Natürlich ist mir bewusst, dass es sich die dem Film mitnichten um ein Werk für Kinder handelt, aber ebenso klar ist mir die Tatsache, dass das nicht jeder weiß. Aber auch bei den Kinderfilmen war nichts zu holen, weshalb ich abermals die Reise zur Fachtheke antrat. „Nichts dabei“, wurde ich jovial begrüßt. „Nee“, erwiderte ich, „es ist ja aber auch kein Kinderfilm.“ Die beiden setzten wieder diese entrückten Blicke auf. „Das ist doch so ein tschechischer Märchenfilm, oder nicht“, fragte der bebrillte Fachmann nicht etwa mich, sondern seinen unbebrillten Kollegen. „Jap“, sagte dieser, „CSSR, 1978.“ „Der muss aber da sein“, entgegnete der Jüngling mit der Sehhilfe. Wer jetzt vermutet, dass einer der beiden sich in Bewegung gesetzt hätte, um das Kinderfilmregal zu durchforsten, ist in die gleiche Falle getappt wie ich. Die beiden sahen mich schweigend an und es entstand ein fröstelnder Moment betretenen Schweigens, wie ich es gar nicht leiden kann. „Eigentlich ist der Film aus den USA, 1987“, merkte ich an, um das verebbte Gespräch mit neuen Fakten wieder zu entfachen, und ergänzte nach einer gewichtigen Pause, „von Rob Reiner“. Ich gebe zu, dass ich mich mit soviel geballtem cineastischen Fachwissen nicht ganz uneitel profilieren wollte, aber die gewünschte Reaktion („Ach, Rob Reiner“) blieb aus. Stattdessen erhielt ich eine Antwort, die mich dreinblicken ließ wie den Kellner in oben erwähntem Biergarten: „87? Sooo alte Filme führen wir nicht. Gibt’s den überhaupt auf DiViDi?“
Gesenkten Hauptes schlich ich an einem Regal mit Filmen wie „Casablanca“, „Ben Hur“ und „2001 – Odyssee im Weltraum“ vorbei und verließ diesen unheilvollen Ort, den Kopf gefüllt mit trüben Gedanken über eine düstere, an Perspektiven arme Zukunft.
PS: In mir keimt der Verdacht, dass es den Ausbildungsgang zum Videofachkaufmann gar nicht gibt. Ich werde diesen Sachverhalt bei der Industrie- und Handelskammer eruieren und gegebenenfalls dessen Einrichtung als Anregung für die Zukunft dort beantragen.
PPS: Den Film haben wir an dem Abend dann doch noch gesehen – in der Originalfassung. Die hatte ich noch.
Autor von „Willkommen im Meer“ und „Krumme Dinger“, Netzmensch und Familienvater aus Oldenburg. Douglas-Adams-Fan. Nach einem schweren Schlaganfall im Mai 2015 Aphasiker auf dem Weg der Besserung.
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