Ein Schatzkartenschatz-Markierungskreuz für eine Zeitkapsel

Kunst am Menschen

Obacht: dieser Text ist von 2004 und erhebt daher keinen Anspruch auf Tagesaktualität. Aber er ist weitgehend zeitlos und daher auch heute noch lesbar.

Es soll ja Menschen geben, die, wenn nach dem Inbegriff von Romantik befragt, von Gitarrenbegleiteten Nächten an Lagefeuern auf Jugendfreizeiten berichten. Diesen Menschen muss man ihren Irrtum erklären, denn es ist nämlich überhaupt nichts Romantisches an einem verqualmten Singkreis. Oft wird da was verwechselt, wie z.B. der vom Gesang verursachte Fluchtversuch zu zweit, der dann zu innigen Momentan romantischen Ansatzes führen kann. In diesem Fall ist aber an dem Lagerfeuer rein gar nichts Romantisches zu finden, sondern das Gegenteil. Aber was ist das Gegenteil von Romantik? Gotik? Sind Lagerfeuer gotisch? Egal, jedenfalls nicht romantisch.

Was hingegen sehr romantisch ist, sind Flaschenposten. Eine Flaschenpost ist der Inbegriff von Abenteuer, Romantik und fremdbestimmten Schicksalen. Ganze Dynastien sind zurückzuführen auf den Versand von in Glas versiegelten Botschaften. Dass mir jetzt kein Beispiel einfällt, will nichts heißen. Viele hochqualifizierte Pädagogen haben mir über Jahre hinweg ein Defizit in der Sachkenntnis geschichtlicher Zusammenhänge bescheinigt. Aber ich bin mir sicher, dass es dennoch wahr ist. Das mit den Dynastien, meine ich.

Als Junge habe ich ganze Urlaube an stürmischen Stränden auf der Suche nach meiner persönlichen Zukunft verbracht. Die junge Tochter des Maharadschas, der es auf der Flucht vor mörderischen Rebellen gelang, mir eine Nachricht in einer Flasche zukommen zu lassen, einen Lageplan des Kerkers, in dem sie die gehässigen Schergen gefangen hielten. Hätte ich die Flasche doch nur bekommen, ich hätte sie gerettet, ganz sicher. Doch ihre Post hat mich nie erreicht. Vermutlich wurde sie an der Adriaküste von vorbildlichen Umwelthelfern zusammen mit anderem Unrat eingesammelt und liegt nun als Scherbenhaufen auf einem dampfenden Müllberg auf den Philippinen. Oder sie fristet ihr Dasein als abgebrochener Flaschenhals in einer Asservatenkammer auf den Balearen, wo sie in einer Plastiktüte mit der Aufschrift „Beweisstück C – Tatwaffe“ an einen blutigen Zwist zwischen einem ungehobelten, rothäutigen Engländer und einem unter auf übermäßigen Sangriakonsum zurückzuführende Heiterkeit leidenden Jürgen Drews-Fan in der Schinkenstraße erinnert. Kann ja sein, man weiß ja nie. Vermutlich hat sie es aber nie den Ganges hinunter bis ins Meer geschafft, sondern wurde von einem munteren Palmblattwäscher aus den reißenden Monsunfluten gefischt, der daraufhin meinen Auftrag ungefragt übernahm und noch heute ein hoch angesehenes Mitglied einer geheimnisvollen indischen Exilregierung ist, eine Position, die mir eigentlich zusteht. Aber das kommt eben davon, wenn man Urlaub in Dänemark macht.

Ja ja, die Flaschenpost. Dutzendweise habe ich die gläsernen Boten in tosenden Fluten versenkt, in der Hoffnung, jemand möge meine Nachricht finden und mich kontaktieren. So etwas passiert ja ständig. Unsterbliche Bande werden geschmiedet, wie wir alle aus der hochemotionalen Schicksalsprosa aus der Feder von Nicholas Sparks wissen. Und wenn nicht aus dessen Feder, dann doch aus der schwülstigen Breitwandprojektion desselben Namens, die uns einen abermaligen Comebackversuch von Kevin Costner bescherte. Nicht zu vergessen seine charmante Filmpartnerin Prinzessin Butterblume, die ja bekanntlich mit dem intellektuellen Raufbold Sean Penn liiert ist. Ob die sich auch per Flaschenpost kennen gelernt haben? Das würde mir gefallen. Butterblume findet auf der Flucht vor Prinz Humperdinck eine Flaschenpost mit einem Hilferuf an eine unbekannte Prinzessin, die den Absender aus der Ehe mit einem neurotischen Megastar erretten möge. Nur was wird aus dem armen Westley? Wer mit den exotischen Namen dieser Passage so recht nichts anzufangen weiß, der möge sich in einen Buchladen begeben und eine Kopie des bezaubernden Buches „Die Brautprinzessin“ erstehen. Auch die Betrachtung des gleichnamigen Films sei dem werten Leser ans Herz gelegt, damit er einen Blick auf des Raufbolds Prinzessin erheischen möge. Aber erst nach der Lektüre dieses Textes.

Zurück zur Flaschenpost. Man stelle sich Folgendes vor: Eine Person verbuddelt eine Zeitkapsel und besorgt sich die Koordinaten der Verbuddelung beim zuständigen Katasteramt, worauf sie sie auf ein Stück Butterbrotpapier zeichnet und die Position der Zeitkapsel mit einem auf Schatzkarten zur Markierung des Objekts der Begierde üblichen Kreuz versieht. Ein Schatzkartenschatzmarkierungskreuz für eine Zeitkapsel! Das ist einfach ungeheuerlich! Aber es kommt noch toller. Diese Person verteilt Kopien dieser Zeitkapselkarte an Freunde und Bekannte, auf das diese sie als Flaschenpost versenden mögen. Als Flaschenpost! Da kann ich mir das Gesicht des Heranwachsenden, der diese Flasche auf seinem täglichen Spaziergang durch dänische Dünen erspähte, gut vorstellen, wenn der sich nach langen Wochen auf dem Fahrrad endlich am Ziel seiner Träume wähnt. So etwas kann nur einem Sadisten einfallen, einem Traumzerstörer, der sich den süßen Vogel Jugend, geköchelt in einem Sud aus Bardolino, Rosmarin und schwarzen Oliven, einverleiben möchte. Einem seelenlosen, gotischen Zyniker – oder einem Künstler, denn denen ist ja bekanntlich alles zuzutrauen.

In unserem Fall war es eine Künstlerin, die uns ersuchte, ihre Schatzkarte in eine Flasche zu stopfen, um diese verkorkt den Fluten anheim fallen zu lassen. Dieses sei fotografisch zu dokumentieren und aus diesen Fotos entstehe dann ein Kunstwerk. Was für eine süße Idee, fanden wir und nahmen das Pergament mit auf die Reise in den staubigen Sommer an Portugals Algarve. Was für einen unglaublichen Spaß man doch im Urlaub haben kann.

Es war der Sommer der Waldbrände, als ein Haufen geisteskrank Entrückter einen Eukalyptushain nach dem anderen in Flammen aufgehen ließen, um bei der Wiederaufforstung ein wenig mitverdienen zu können. Oder die Korkeichenzündler, die schon mal Platz schaffen wollten für einen Formel 1-Ring, denn dann wäre Portugal ja ganz schnell die führende Wirtschaftskraft in Europa. Verehrte Zündler, will es da aus mir heraus, in Deutschland gibt es bereits zwei Formel 1-Strecken und unsere Position in der maßlos überschätzten europäischen Wirtschaftsrangliste ist nun mal nicht wesentlich besser als die Portugals. An den öden Rennstrecken liegt es halt nicht. Im Übrigen wird dieser Sport bald wieder in der Bedeutungslosigkeit versinken, weil es eben nicht mehr zeitgemäß ist, Leuten dabei zuzusehen, wie sie viel zu schnell im Kreis fahren. Tja, wenn sie dabei wenigstens bewaffnet wären, aufeinander schössen oder Ähnliches, tja, dann… Aber so wie die Dinge liegen ist ein Formel 1-Rennen noch langweiliger als ein Blick hinter die Kulissen einer Daily Soap mit all ihren irrsinnig frischen Jungstars, die in solchen Berichten immer Bedeutsames aus ihren privilegierten, an Erfahrung nicht mehr zu überbietenden, sechzehn Jahre währenden Leben zu predigen wissen. Aber wir wollen nicht über die Jungstars nörgeln, denn Nörgeln macht grün im Gesicht. Wir gönnen ihnen ihren Erfolg und hoffen, dass ihnen die Peinlichkeit erspart bleibt, sich ihre Backfischweisheiten in späteren Jahren anschauen zu müssen.

Wir waren aber fernab von Formel 1-Zirkus und Hintergrundberichten an der fernsehlosen Algarve, wo es nun mal schrecklich brannte. Und mit uns führten wir eine Flasche mit einer Butterbrotpapierrolle zum Inhalt, auf die eine Dame mit künstlerischem Scharfsinn einen Grundbucheintrag der Stadt Braunschweig gepaust hatte. Diese Flasche sollten wir in irgendeinen Fluss werfen und dieses fotografieren. Dann könnten wir uns unserem Urlaub widmen. Wir blauäugigen Traumtänzer, wir. Ein Fluss? An der Algarve? Im Sommer? In diesem Sommer? Ich will nicht übertreiben, denn das geziemt sich nicht, aber die Flüsse in Europas Süden sind, wenn man sie denn als solche erkennt, im Sommer eben nicht besonders wasserreich, will sagen, sie ähneln in der Fließgeschwindigkeit den Hängen des Vesuv, tausend Jahre nach dem großen Fest. Eine Flasche dort hinein zu werfen würde diese laut zersplittern lassen und aus wär’s mit der Kunst.

Geschlagene drei Wochen fuhren wir dieses romantische Kleinod spazieren, bis die Heimreise dräute und wir es in einem Nebenarm des spanisch-portugiesischen Grenzflusses versenkten. Was dann mit der Flasche geschehen ist, wage ich nicht zu erahnen, denn ich träumte einen gar schrecklichen Traum, mit dem ich schließen möchte.

An der kanadischen Ostküste in der Provinz Neu Braunschweig, oder auch New Brunswick, wie viele Kanadier gern sagen, lebte ein alter, verwitterter Walfänger, Carl Meiers wollen wir ihn nennen. Carl ist nicht sehr reich, weil er aus Gewissensgründen keine Wale mehr fangen mag und wie das mit den Hummern funktioniert, hat er nicht so recht verstanden. Seine Frau Diane, hat ihn vor Jahren verlassen, weil sie ihn für einen Versager hält, und lebt seitdem mit einem jungen Walfänger zusammen, der sie auf Händen trägt, warum, weiß ich auch nicht mehr. Carl sitzt also oft am Meer und blickt, während er auf einer Baumwurzel herumkaut, in Richtung der Heimat seiner Ahnen, da blitzt ihm schicksalsschwanger etwas aus dem Wasser entgegen. In Nullkommanix ist Carl mit seinem Boot zum Glitzern unterwegs und zieht eine verkorkte Flasche aus den Fluten. Rasch entkorkt er die „Message in a Bottle“, wie viele Kanadier gern sagen, und findet darin ein Pergament, eine Karte aus Braunschweig, wie er der Beschriftung sachkundig entnimmt. Es stehen Zahlen drauf, die Carl nichts sagen, und ein Kreuz, wie man es auf Schatzkarten findet. Da Carls Leben in Kanada nicht viel zu bieten hat, verkauft er kurzerhand seine Hütte, um von dem Geld ein Flugticket nach Deutschland zu erstehen. Erst kurz nach London und dann nach Hannover-Langenhagen. Von dort mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof Hannover, von wo die Fahrt nach Braunschweig ein Klacks ist. In Braunschweig will schnell noch ein Architekt auf offener Straße nach der Bedeutung dieser merkwürdigen Zahlen befragt werden, der unseren Carl dann zum Katasteramt schickt, weil er in architektonischem Scharfsinn das Geheimnis der Nummern zu lüften vermochte. Flugs noch ein Schäufelchen erstanden und schon eilt Carl zum Ort seiner Träume und gräbt, bis er die Kiste findet. Er kann sein Glück kaum fassen, träumt sekundenlang davon, dass in diesem kleinen Kästchen die wertvollsten Geschmeide aus dem Nazigold die Zeiten überdauert haben. Carl glaubt nun mal, er hätte eine Schatzkarte gefunden und demzufolge auch einen Schatz. Dann öffnet er die Kiste und findet in dieser Reihenfolge: ein paar Steinchen und Muscheln, Taubenfedern, eine kaputte Spieluhr, die in besseren Tagen wenigstens noch „Seasons in the Sun“ zu intonieren vermochte, einen handgeschriebenen Brief der Künstlerin, in dem diese dem Finder gratuliert und ihm Aprilscherzhaft seinen Fauxpas erläutert, gefolgt von Fotos, auf denen selbige gütig und milde lächelt. So wird aus einer liebreizenden Kunstidee eine menschliche Tragödie ungeheuren Ausmaßes und aus Romantik Gotik. Was bin ich froh, dass ich als Kind nie eine dieser Flaschenposten gefunden habe.

PS: Ich bin mir gar nicht sicher, ob der Plural von Flaschenpost tatsächlich Flaschenposten lautet, aber Flaschenposten schreibt sich derart bezaubernd, dass ich es gar nicht erst nachschlage.

 


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Kommentare

4 Antworten zu „Ein Schatzkartenschatz-Markierungskreuz für eine Zeitkapsel“

  1. Dann erzähle ich mal einen Schwenk aus der Jugend meiner Eltern, welche mir zugetragen wurde:

    Auf Schiffsreisen nach Brasilien war es (und ist vielleicht noch immer) üblich, bei der Äquatorüberquerung selbige feucht-fröhlich zu feiern. Die Geschichte meiner Noch-Nicht-Eltern beinhaltete kein Lagerfeuer, insofern gehe ich davon aus, dass dieses Ereignis auch ein romantisches gewesen schien, zumal geleerte Sektflaschen zum „Flaschenposten“ verwendet wurden. Bevor diese in die tosende See ihrem Schicksal überlassen wurde, wurde sie mit Nachrichten befüllt. Wohl mehr zu der Belustigung in der beschwingten Stimmung meiner Noch-Nicht-Eltern, denn in der Hoffnung, dass wirklich mal eine tatsächlich das Land erreicht. Und so dachten sie sich auch nichts dabei, als sie eine Flasche mit der Nachricht füllten: „Wer diese Flasche findet, hat einen Wunsch frei.“ und sie ins schwarze Wasser warfen und nicht ohne zu vergessen, auch die Telefonnummer des Büros meines Noch-Nicht-Vaters anzugeben.

    Wochen später. Brasilien, São Paulo. Du ahnst es Kai, oder? Das Telefon klingelt. „Ich habe die Falsche gefunden“, entgegnete es meinem Noch-Nicht-Vater, als er sich mit Namen meldete. „Und ich habe einen Wunsch“.
    Es stellte sich heraus, dass der Anrufer einer der Brasilianer war, die Portugal den Rücken zukehrte um sein Glück auf der anderen Seite des Ozeans zu finden. Nun hatte dieser wohl mehr Pech als Glück, wohl auch, was das Finanzielle betraf. Denn ein Ticket zurück zu seiner Familie, konnte er sich nicht mehr leisten. Und so bestand sein Wunsch an meinen Noch-Nicht-Vater, dass er ihm die Reise bezahlen soll.

    Es dauerte Tagen, gar Wochen, so wurde mir berichtet, bis sich der Flaschenfinder damit zurecht gefunden hatte, dass der Fund kein Fund sondern nur ein Spaß war. Keiner weiß, ob er jemals seine Familie wieder gesehen hat. Meine Eltern jedoch, haben seitdem keine Flaschenpost mehr verschickt.

  2. lao_tse

    Klasse. Da soll noch mal jemand behaupten, ich schriebe ohne Realitätsbezug. Danke für die Geschichte 🙂

  3. Gern geschehen. Die besten Geschichten schreibt doch sowieso das Leben 😉

  4. „Was hingegen sehr romantisch ist, sind Flaschenposten.“
    Mein erster Gedanke dazu: Das waren doch die Posten für die Strohmänner …?
    😉

    Ne zeitlos feine Geschichte. (Obwohl ich voll auf Lagerfeuerromantik steh!)
    LG

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