Soll man einen politischen Kommentar, der einem das Recht der Teilnahme an einer Demokratie absprechen möchte, überhaupt eines Blickes würdigen? Kann man das überhaupt, wenn er im Radio gesendet wurde? Noch dazu im Spartensender Nordwestradio? Da gibt es einen „rasenden Reporter“ (eigene Aussage) namens René Möller, der Kommentare macht, wenn ihm „mal der Kragen geplatzt ist“. Zum Beweis dafür gibt es ein Foto ohne Kragen auf der Senderhomepage. (Es gibt zum Glück noch ein Foto von direkt vor der Kragenplatzung hier. Man sieht es bereits rumoren.)
Er probiert „erstmal ALLES“ und meint damit Essen. Aber nicht Blutwurst und Knipp. Da interessiert ihn nicht einmal der Geschmack. Den er aber nicht kennen kann, weil er es ja nicht probiert. Aber er interessiert ihn eben nicht. Eben eine typische Meinungshanselperspektive, die in der Schule in der hohen Kunst der dialektischen Erörterung bei gleichzeitiger Beliebigkeit der eigenen Ansichten gestählt wurde. Beste Voraussetzungen also für politische Kommentare im Radio.
Sein Kommentar ist eine Geschichte voller Missverständnisse, die moderne humanistische Bildung nicht mehr auszuräumen vermag. Spaß, Gaga, Satire, Parodie, Guerilla – das ist für unseren rasenden Reporter alles dasselbe. Man spürt Herrn Möllers Kragen zittern, wenn er daran erinnert, dass die Titanic „Papst Benedikt XVI. mit Urinflecken auf seiner Soutane gezeigt“ habe. Ob er damals des Kalauers Ursprung begriffen hat („Vati leaks“) ist ebenso fraglich wie zu vernachlässigen, denn heute will er es den Feinden der Demokratie so richtig besorgen. Eigenartigerweise meint er damit nicht die CDU oder die SPD, oder gar die AfD, sondern die PARTEI, deren Akronym angemessen großzuschreiben ihm nach der großen Kragenplatzung nicht mehr gelingen will. Und weil sein protestantischer Eifer ihn allzu sehr antreibt, nagelt er 3 Thesen an seine Kommentarwand (mehr Zeit war nicht), an denen er darzulegen gedenkt, dass „Die Partei [sic] [alle] beleidigt“. Dort unterstellt er den Wählern anderer Parteien, dass sie „sich ernsthaft mit Politik auseinandersetzen“. Sämtlichen Politikern und Abgeordneten im Europaparlament dichtet er ungefragt an, sie würden sich für irgendeine Sache stark machen, „für das Problem einer Minderheit oder für die Belange der Bürger in [ihren] Wahlkreis[en]“, was in Anbetracht der aberwitzigen Castings für Listenplätze der Parteien geradezu infam daherkommt. Und schließlich verhöhnt die PARTEI „die Menschen in nicht-demokratischen Ländern“ wie der Ukraine und der Türkei, die nicht in die Wahllokale gelassen werden (zu welchem nicht-demokratischen Anlass eigentlich?), oder „die gern mal ihre Meinung sagen würden – es aber nicht dürfen“ in der anatolischen Erbmonarchie.
Im Wahlergebnis, in Gesprächsrunden und Kommentaren in allen denkbaren und realexistierenden Medien lässt sich nirgends auch nur ein Hinweis darauf finden, dass Wähler sich ernsthaft mit Politik auseinander setzen. Zweitens kandidiert eine beträchtliche Zahl Politiker aller Parteien für Europa, weil es bei der letzten Bundestagswahl nicht gereicht hat. Und drittens sehen sich die Menschen in der Ukraine und der Türkei so vielen Verhöhnungen durch Steinmeier, Merkel und die lutherisch vernagelten Medienportale ausgesetzt, dass sie allenfalls traurig sein dürften, ihre Stimme nicht der PARTEI geben zu können.
„Wir gefährden unsere Freiheit“, sagt der Kragenbär vom Nordwestradio. Ich finde: so lange wir dieser Form von lustigem Lausbubenjournalismus in den öffentlich-rechtlichen Sendern Raum geben, ist mit unserer Freiheit noch alles in Ordnung.
Autor von „Willkommen im Meer“ und „Krumme Dinger“, Netzmensch und Familienvater aus Oldenburg. Douglas-Adams-Fan. Nach einem schweren Schlaganfall im Mai 2015 Aphasiker auf dem Weg der Besserung.
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