Dampfende Tasse Kaffee im Gegenlich vor dunklem Hintergrund

Kaffee und Kosmische Strahlen

von Kai-Eric Fitzner aus dem Jahr 1990

Die folgende Geschichte ist eine Fiktion, die ausschließlich dem Geiste des Autoren entstammt. Jede Ähnlichkeit zu lebenden oder toten Personen, deren Angehörigen oder Weltanschauungen sind rein zufällig und keineswegs beabsichtigt …ehrlich.

Es war ein Morgen wie jeder andere, zumindest begann er so. Meine kürzlich erworbene mechanische, zeitmessende Foltermaschine mit Namen Wecker riß mich, wie üblich, kurz vor dem Höhepunkt eines wirklich sehr stimulierenden Traumes, auf den ich nicht näher eingehen möchte, obgleich ich mir durchaus vorstellen könnte, daß er in so manchem geschätzten Leser Interesse zu wecken vermag, aus dem Schlaf. Ich erhob mich von meinem weichen Lager, rannte zur Tür des Schlafgemachs, um dem Lärm zu entfliehen, denn leider läßt sich mein Wecker seit dem ersten Morgen nicht mehr abstellen, und verschloß mich erleichtert in der Säuberungsanstalt meiner heimischen Wohnung.

Nach einer sorgfältigen Rasur, welche mich sehr erfrischte, und der Erledigung diverser anderer morgendlicher Bedürfnisse verließ ich das Badezimmer, um mir in der Küche meiner wirklich sehr heimischen Wohnung einen schönen Kaffee zu brauen. Zu meinem Entsetzen mußte ich allerdings feststellen, daß mein erlesenes Gemisch feinster Bohnen aus Guatemala, Äthiopien und Kolumbien mit Namen Antigua, Sidamo und Santa Martha – wirklich sehr empfehlenswert – ein jähes Ende gefunden hatte: mein Kater Puschel hatte offenbar in der Nacht großen Appetit auf eben dieses Kaffeegemisch verspürt und hatte den gesamten Doseninhalt verspeist. Er lag nun mit weit aufgerissenen Augen zuckend vor dem Kühlschrank. Ich fand, daß dies eine gerechte Strafe sei und ersparte ihm eine sonst fällige Schelte. Nun war allerdings immer noch nicht geklärt, woher ich meinen Kaffee bekommen sollte, welchen ich brauche bevor ich meiner Arbeit nachgehe. Ich beschloß also, meiner sonstigen Gewohnheit entgegen, vor meiner Reise ins Rathaus, ein Cafe aufzusuchen. Bevor ich das Haus verließ strafte ich Puschel mit einem vernichtenden Blick, woraufhin dieser leidend röchelte; dann trollte ich mich meiner Wege.

Auf meinem Weg durch unsere stark belebte Fußgängerzone erkannte ich ein weiteres Problem: keines der ortsansässigen Cafes führte meine Kaffeemarke, was mich schon mehr als einmal in eine hysterische Raserei versetzt hatte und weshalb ich mir geschworen hatte, die Cafes der Innenstadt nicht länger zu frequentieren. Und während ich auf dem Marktplatz stand, um verzweifelt eine Lösung zu diesem verteufelten Problem zu finden, streifte mein Blick ein riesenhaftes, schwarzes Gebäude, welches mit Sicherheit am gestrigen Tage noch nicht die Shilouette unserer wunderschönen Altstadt geziert hatte. Da mein Aufgabenbereich in unserer wundervollen Stadtverwaltung die Erteilung von Baugenehmigungen beinhaltet, was meines Wissens nach in den letzten zehn Jahren für ein fünfzigstöckiges, schwarzes Gebäude nicht erfolgt war, beschloß ich der Sache sofort auf den Grund zu gehen. Schließlich erscheinen nicht alle Tage nicht genehmigte Häuser über Nacht – zumindest nicht in meiner Stadt.

Aus nächster Nähe erkannte ich sofort, daß der gesamte Bau mit schwarzen Marmorplatten bedeckt war, was mich nicht schlecht beeindruckte. Über dem gewaltigen Eingang prangte ein Schild, in goldenen Lettern verfaßt, dessen Text wie folgt lautete:

Dem Erleuchter der Verdunkelten, dem Sehenden der Blinden, dem Erretter der zu Rettenden, dem großen, einzigartigen LAWRENCE HUMBLE [1].

Von diesem Mann hatte ich nun wirklich noch nie etwas gehört, geschweige denn ihm eine Baugenehmigung erteilt. Es war meine Pflicht, diesen Herrn Humble [2] darauf aufmerksam zu machen, daß sein Häuschen hier umgehendst zu verschwinden hatte und so bestieg ich die Treppen, die zu dem ebenhölzernen Eingangsportal hinaufführten. Oben wurde ich dann auch prompt von einer sehr merkwürdigen Gestalt begrüßt: eine junge Frau, die einen langen weißen Kittel trug, in welchen sich sonst männliche Bewohner der Arabischen Halbinsel zu kleiden pflegen. Um ihren Hals hing an einem schwarzen Lederband ein komischer, grün und rot blinkender Kasten und sie lächelte so glücklich wie ein Kind zu Weihnachten, welches zum erstenmal einen prächtig geschmückten Weihnachtsbaum erblickt. Ich wollte gerade beginnen, ihr einen Vortrag über den Sinn und Zweck von Baugenehmigungen zu halten, als sie das Wort ergriff.

„Sei mir gegrüßt, Bruder. Ich habe dich schon erwartet. Tritt herein und leg deine Sorgen ab. Bei uns findest Du Trost und Trank. Wir erlösen dich von deinem weltlichen Jammer.“

Es mag niemanden verwundern, daß ich zunächst stumm blieb, als sie meine Hand ergriff und mich ins Gebäude zog. Verwunderlicherweise erkannte ich das Mädchen als eine der Hauptpersonen meines Traumes der letzten Nacht und so ließ ich alles hoffnungsvoll über mich ergehen.

Wir schwebten in eine mit weißen Vorhängen geschmückte Halle, die mit himmlischer Sphärenmusik erfüllt war. Im ganzen Saal waren Sitzkissen verstreut, auf welchen lauter glückliche Menschen saßen und lachten – alle trugen diese merkwürdigen Kästen um den Hals. In der Mitte der Halle befand sich ein gläserner Aufzug, der hoch oben in der himmelblauen Decke verschwand. Meine charmante Begleitung ergriff wieder das Wort, während ich mich fragte, ob es diesem Palast wohl richtigen Kaffee gäbe.

„Nimm Platz, Bruder“, sagte sie. „Der Retter wird gleich bei dir sein. Möchtest du in der Zwischenzeit einen Kaffee?“
Jetzt oder nie. Wenn sie in der Lage wäre, mir einen Kaffee zu servieren, so würde ich mir die Sache mit der Baugenehmigung noch einmal überlegen.
„Wenn ihr eine Guatemala-, Äthiopien- und Kolumbienmischung habt, dann sehr gerne.“
„Du meinst Antigua, Sidamo und Santa Martha?“
Hell leuchteten meine Augen auf und ich nickte voller Freude.
„Selbstverständlich haben wir diesen Kaffee, denn alles andere ist keiner.“
Ich umarmte sie herzlich, zu Tränen gerührt und bedeckte sie mit heißen Küssen, was sie sich gefallen ließ und sogar erwiderte – wie letzte Nacht.
„Wie heißt du, mein Engel“, wollte ich wissen und sie hauchte zur Antwort mit ihrer hellen, glöckchenähnlichen Stimme: „Anemone-Marie.“
Darauf schwebte sie von dannen und ich ließ mich überglücklich in eines der Kissen fallen.

Es dauerte nicht lange, da kam Anemone-Marie zurück. Sie trug in ihren sinnlichen Händen ein silbernes Tablett – selbstverständlich mit zwei Tassen dampfenden Kaffees darauf – welches sie behutsam vor mir abstellte. Dann setzte sie sich neben mich und reichte mir meine Tasse. Ich vermag dieses einzigartige Glücksgefühl nicht zu beschreiben, das ich verspürte, als die ersten Tropfen dieses himmlischen Bohnensuds meine Zunge berührten und Anemone-Marie schien es nicht anders zu gehen.

Nachdem ich genußvoll meine Tasse geleert hatte fragte ich mich, wer nun dieser freundliche Herr Humble [3] sein möge, dem ich dieses vollkommene Glück zu verdanken hatte. Doch gerade als ich Anemone-Marie um Auskunft bitten wollte, bemerkte ich, daß es schlagartig still im Saal geworden war. Ich blickte zum Aufzug hinüber und sah, daß ein hochgewachsener, älterer Herr darin hernieder fuhr. Über dem Arm trug er ein weißes Gewand und einen komischen Kasten, welcher nicht rot und grün leuchtete, sich jedoch ansonsten nicht von denen der anderen unterschied. Als der Fahrstuhl am Boden aufsetzte und sich die Türen beiseite schoben, stimmten alle Anwesenden – auch Anemone-Marie – einen Gesang an, der mich stark an Gregorianische Choräle erinnerte. Der Text war in einer mir fremden Sprache verfaßt, welche wie eine Mischung aus Arabisch, Spanisch und Kreolisch klang. Der Fahrstuhlinsasse schritt daraufhin würdevoll durch eine Gasse, die die Anwesenden geräumt hatten, geradenwegs auf mich zu. Vor mir angekommen verharrte er kurz, dann reichte er mir Kittel und Kasten und sagte „Willkommen, mein Sohn.“

Ich wollte seine Begrüßung gerade erwidern, da kam mir die Erinnerung an den eigentlichen Zweck meines Kommens. Geistesgegenwärtig antwortete ich:
„Sie sind sicherlich Herr Humble [4]. Ich hätte mit ihnen etwas geschäftliches zu besprechen.“
„Sprich, mein Sohn“, erwiderte er gelassen.
„Ich dachte eigentlich, daß wir allein sprechen könnten.“
„Ich habe keine Geheimnisse vor meinen Schäfchen“, kam die Antwort.

Wie sollte ich ihm mein Anliegen vortragen, wenn er Heimvorteil hatte. Die hätten mich glatt lynchen können, wenn ich ihrem Schäfer erzählte, daß er dieses Gebäude unverzüglich zu entfernen hatte. Aber, dachte ich mir, ’no risk, no fun‘ wie die Engländer zu sagen pflegen.
„Ich komme von der Bauaufsichtsbehörde und habe festgestellt, daß sie keine Baugenehmigung für dieses Gebäude haben.“

Nun war es heraus und keiner sah mich grimmig an. Herr Humble [5] lächelte nur, als er weitersprach.
„Das ist vollkommen richtig, denn wir brauchen keine. Wir haben eine Bauberufung.“
Von einer Bauberufung hatte ich natürlich noch nie etwas gehört. Ich beschloß also, mich schlau zu stellen.
„Das mag schon sein,“ sagte ich, „aber die gilt in dieser Stadt nicht.“
Er lächelte unaufhörlich.
„Das stimmt nicht, mein Sohn. Wir haben sie speziell für diese Stadt erhalten.“
„Wer hat sie ihnen denn erteilt?“
„Außerirdische sanden uns ihre Genehmigung. Wir haben die Übersetzung  jener kosmischen Strahlen, durch die sie zu uns sprachen. Ich kann sie dir gerne zeigen.“

Ich war selbstredend unheimlich gespannt auf seine Bauberufung und ob sie ihre Gültigkeit hatte. Also sagte ich ihm, daß ich sie gerne sehen würde und er bat mich, ihm zu folgen.

Wir gingen zum Aufzug und stiegen ein. Auf der Fahrt nach oben fiel mir ein, daß es mich interessierte, was es mit den komischen Kästen auf sich hatte, also fragte ich ihn. Er vertröstete mich auf später, wenn wir unser Ziel erreicht hätten.

Der Fahrstuhl stoppte. Wir befanden uns in einem hell erleuchteten Raum unter dem Dach, der vollgestopft war mit großen und kleinen Kästen, ein jeder mit grünen und roten Lämpchen ausgestattet. Auf dem gläsernen Dach war eine gewaltige Satellitenschüssel installiert, welche mit einem Großteil der größeren Geräte und Monitore verbunden war. Auf einem der Kästen lag ein Zettel, den Humble mir reichte. Darauf stand ganz deutlich:

„Bauberufung. Lawrence Humble [6] wird aufgefordert, in der Stadt Ansheim ein fünfzigstöckiges Gebäude zu errichten. Gezeichnet  für den Oberstadtdirektor, i.A. der interstellare Bauaufsichtsrat.“
Das Schreiben war mit diversen, gültigen Dienstsiegeln versehen, weshalb es völlig in Ordnung war.  Kopfnickend gab ich es ihm zurück.

„Das hat schon seine Richtigkeit. Verzeihen sie bitte mein Mißtrauen, aber man weiß ja nie“, sagte ich. „Doch nun wüßte ich doch zu gerne über diese Kästen Bescheid.“
„Das ist ganz einfach“, half mir Humble [7] und hängte mir einen um. „Ein jeder dieser Rezeptoren, wie wir sie nennen, ist mit dem Hauptrezeptor auf dem Dach gekoppelt. Zusätzlich ist er selbstverständlich auf die persönlichen Gehirnwellen des Trägers eingestellt, was dem Träger ermöglicht, jederzeit die kosmischen Strahlen seines Lieblingsaußerirdischen zu empfangen. Und damit ist ja wohl jedem gedient“, schloß er und mein Rezeptor begann zu piepen und blinken.

*

Der große Erlöser hat recht. Er hat meinen Geist erhellt und mich aus dem Dunkel geführt. Er nahm die unsägliche Blindheit von meinen Augen.

Mittlerweile habe ich schon viermal kosmische Strahlen empfangen, wovon Anemone-Marie sagt, daß es eine wirkliche Begabung sei. Ich bin unsäglich froh, daß ich meine wahre Bestimmung erkannt habe und mich nicht mehr mit Menschen abgeben muß, die schlechten Kaffee trinken. Ein Hoch auf die Wissenschaft, ein Hoch auf Lawrence Humble [8].


[1] Name vom Verfasser geändert
[2] ist nicht der richtige Name
[3] Name geändert
[4] wirklich geändert
[5] stimmt nicht
[6] geändert
[7] heißt anders
[8] wieder falsch

Titelfoto: StockSnap, Pixabay


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