Wenn man ganz kurzfristig ein Ticket für eine Veranstaltung bekommt, von der man so im Großen und Ganzen eher noch gar nichts mitbekommen hat, außer der Berichterstattung der latent überforderten Endzeitmedien, dass es sich um das Treffen einer Gruppe Verrückter handele, die einmal im Jahr gen Berlin pilgern – so sie denn nicht ohnehin zur Digital Bohème zählen, die dort ja exklusiv ansässig ist – um ihrem Guru zu huldigen, dann sollte man sich besser informieren und sich medial auf ein nicht allzu peinliches Niveau hieven.
Was gehen da bloß für Leute hin und wer ist dieser eigenartige Mann mit der Oberlippenmatte und der befremdlichen Anbiederungsfrisur, den man für den Anführer dieser Leute hält und über den der SPIEGEL so gerne schreibt? Dass der Sascha Lobo genannt werden möchte, habe ich schon mitbekommen, auch, dass er ständig von den Endzeitmedien zu allen möglichen das Internet betreffenden Dingen verhört wird, wohl weil die Medienfröschlein ihn sich wegen seiner markanten Frisur besonders gut merken können. Ich habe einmal ein Interview mit ihm auf Funkhaus Europa gehört, wo er irgendwas über Facebook erzählt hat, im Sinne von, dass es da auch Fake gebe, weswegen das aber trotzdem ein Marketing-Instrument sein könnte, oder so ähnlich. Vielleicht ging’s auch um Ägypten – ich hab nicht richtig zugehört. Aber ich mochte seine Stimme. Die hatte ein recht angenehmes Timbre.
Insgesamt wirkte die Vorstellung, es handle sich bei der re:publica um eine an eine Messe gemahnende religiöse Veranstaltung, nicht plausibel, also begab ich mich auf Recherche und studierte das Programm und die Listen der Redner dieses und vergangener Jahre. Ich war schockiert!
Nicht nur würde es hunderte von Veranstaltungen und noch mehr Redner geben, nein, auch das Feld der Vortragenden und ihrer Themen hatte in Breite wie Tiefe Panikpotential. Wie sollte ich eine Schneise der Erkenntnis in dieses Informationsdickicht schlagen? Wie würde es den Veranstaltern gelingen, einen Bogen von Design Thinking über klitoralen Aktivismus im Netz bis hin zu Pony-Pornos zu spannen? Wie passte dies in eine Reihe mit Vorträgen zur Beschaffenheit der Heavy User (Internet) von Peter Kruse aus dem letzten Jahr? Und wo war der spirituelle rote Faden, der derartigen Synoden üblicherweise innewohnt?
Um diesem Geheimnis auf den Grund gehen zu können, würde ich um keinen Preis als Nicht-Initiierter auffallen dürfen. Erster Schritt war für mich also, meinen Twitter-Account zu reaktivieren, der dann doch schon seit zweieinhalb Jahren darauf wartete, dass ich meinen dritten Tweet verfasse, und dann vielleicht noch einen vierten usw. Umso erstaunter war ich, dass es den überhaut noch gab und ich mich sogar noch an das Kennwort erinnerte. Womöglich eine Fügung des Schicksals? Natürlich würde mich meine magere Statistik sofort als nicht Tweet-affines Gesindel entlarven, aber vielleicht würde einfach niemand draufschauen.
Zweiter Schritt: Wecker auf 4:00 Uhr stellen, zweiten Wecker daneben legen und darauf hoffen, dass ich den Zug um 5:06 Uhr gen Berlin erwischen würde.
Dritter Schritt: Augen zu!
In Teil 2 suche ich den roten Faden, erlebe den schizophrensten Lichtblick meines Lebens und sehe wenig Erbauliches von den Medienfröschlein. Morgen! Hier! Oder übermorgen! Mal sehen! !
Autor von „Willkommen im Meer“ und „Krumme Dinger“, Netzmensch und Familienvater aus Oldenburg. Douglas-Adams-Fan. Nach einem schweren Schlaganfall im Mai 2015 Aphasiker auf dem Weg der Besserung.
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