re:publica re:dux – Part 1

Eine der Personen in diesem Bild wird möglicherweise von ihren Freunden Mogli genannt. Vielleicht aber auch nicht.

Der Auftakt meiner re:publica 12 Berichterstattung: eine würdige Keynote, Monster unter Möbeln und ein ziemlich langer Anfangssatz.

War ich im letzten Jahr bei meinem ersten re:publica-Besuch noch ein 2.0-Toddler (Lehnwörter aus dem Anglo-Normannischen Sprachraum sind heuer wieder enorm en vogue), staunend mit der Neuralisierung des synaptisch fordernden Informationsangebots beschäftigt und erst nach Tagen imstande, diese kognitive Transformation, die einer marvelschen Superheldenwerdung gleich gekommen wäre, hätte sie mir Superkräfte beschert, mühevoll in wohlfeile Worte zu kleiden, so fällt es mir nach der letztjährigen Initiation dank eines der Verleihung einer digitalen Citizenship sich zumindest verwandt anfühlenden rituellen Erkenntnisgewinns nicht mal ansatzweise schwer, diesen Hemingwaynesken Anfangssatz, schnörkelbehaftet zwar, doch dabei nicht minder elegant zu Blogge zu tragen (wem der Name Hemingway nichts sagt, der möge sich ein paar atemlose Sätze Sven Regeners reinziehen, der sich unlängst fernab der lesenden oder Musik kaufenden Gesellschaft als Gegner erotischer Wasserspiele ins Gespräch brachte; Brecht hat seinerzeit auch so manches Ungetüm versyntaktet, aber wem Hemingway nichts sagt, dem muss ich mit Brecht wohl auch nicht kommen). So musste ich damals lange über Sinn und Relevanz der Keynote pondern (siehe Anmerkung oben), um schließlich messerscharf zu folgern, dass sich ein Kontext zur re:publica nur platitüdenhaft herstellen ließ (jeder ist seines eigenen Designs Schmied, oder so ähnlich). Dieses Jahr gab es zum Ausgleich dafür eine Diskursklatsche vom Allerfeinsten.

Monster unterm Bett

Eben Moglen, Professor für Recht und Rechtsgeschichte an der Columbia University und vehementer Verfechter freier Software, holte sogleich den von Thor geborgten großen, schweren Mjølnir hervor und schlug uns dermaßen Endzeit vors Gehirn, dass es in so manch sanfterem Gemüt sicher Beulen hinterließ. Seine Argumentationskette: freie Gedanken bedürfen freier Software, damit niemand die Gedanken zensieren kann, und damit niemand unter der Zensur von Gedanken leiden muss, brauchen wir Anonymität, die das Netz aufgrund einer Fehlentscheidung bei den Designparametern der IP-Suite Anno Dunnemals nicht bietet, weshalb die über das Internet propagierten Medien nicht mehr von uns konsumiert werden, sondern uns konsumieren und spätestens zu diesem Zeitpunkt musste ich unter den Stuhl schauen, ob da nicht irgendwelche Monster hockten. Noch bemerkenswerter als diese lupenreine Argumentationskette, die ich in wenigen Augenblicken zermörsern möchte, um Herrn Moglen ein Risotto damit zu würzen – schließlich ist dies unter Anderem auch ein Foodblog – war allerdings die Art, wie er seinen Fall vortrug, nämlich genau so, wie wir es von den Schlussplädoyers der US-Serienanwälte kennen. Und so war die Argumentationskette lückenlos aber nicht schlüssig.

Geheimnisreichweite als Währung

Wenn wir den Gedankenschutz auf einem Recht auf Anonymität aufbauen wollen, um Missbrauch wie Zensur, Ideenklau oder sogar Strafverfolgung vorzubeugen, so setzen wir uns mental mit staatlichen wie privaten Geheimdiensten an einen Tisch. Denn in der Welt der Anonymität gibt es nur eine echte Währung: das Geheimnis. Anonymität ist demnach ein Konstrukt, ein Vorenthalten von Informationen, der Versuch der Informationskontrolle durch Setzen von Geheimnisreichweite. Moglis (so nennen ihn vielleicht seine Freunde, kann ja sein) Problem scheint denn auch nicht der Mangel an Anonymität zu sein sondern vielmehr der Umstand, dass diese nicht gleich verteilt ist: ein Geheimdienst vermag die Identitäten seiner Mitarbeiter zu schützen, so dass diese anonym operieren können, wobei selbst dies nicht fehlerfrei funktioniert; den meisten Individuen gelingt dies nicht. Im Kern liegt hier ein Geheimnisgefälle von gleichberechtigter Anonymität zu einseitiger Anonymität vor, in dem die Unfähigkeit des nicht anonymen Individuums Geheimnisse zu bewahren der Anonymität der organisierten Geheimniskrämer gegenübersteht, ganz gleich ob diese NSA, Blackwater, Stasi, Facebook oder Apple heißen. Die Frage, die wir uns zwangsläufig stellen müssen (oder zumindest sollten), ist diese: Wenn wir die Freiheit der Gedanken als höchstes Gut postulieren, sollten wir dann den Denkenden durch eine Geheimnishierarchie schützen, oder lieber daran arbeiten, das Geheimnisprinzip nicht länger als Grundpfeiler staatlichen Handelns zu pflegen?

Anonymität vs. Transparenz

Anonymität ist relativ, da sie durch Wirksamkeit der Geheimnisreichweite bestimmt wird. Erfolgreiche Anonymität entsteht dabei durch Unkenntnis bzw. Ignoranz. Wir versuchen die Urheberschaft eines Gedanken zu schützen, indem wir den Urheber verheimlichen. Die kulturellen Hintergründe für dieses Verhalten sind hochinteressant und Gegenstand eines famosen Buchkapitels eines noch famoseren Buches, an welchem yours truly (siehe oben) gerade arbeitet. Für diesen kleinen Blog sei einfach mal gesagt, dass es jede Menge durchaus nachvollziehbarer historischer, kultureller, zwischenmenschlicher usw. Gründe für Anonymität gibt, die beinahe alle auf Misstrauen und Angst vor Missbrauch zurückzuführen sind. Wir wollen kritische Dinge äußern können, ohne dafür verfolgt zu werden und die Schreckensregime der Vergangenheit und Gegenwart liefern aus aller Welt gleich tonnenweise Argumente für die Sehnsucht nach einem Leben in vollkommener Anonymität. Allein, dadurch wird sich nichts ändern. Nichts deutet darauf hin, dass wir dem Dschinn sein Internet zurückgeben können, so dass wir uns jetzt der häufig historisch genannten Chance hingeben sollten, die große Transparenzmaschine über all die wichtigen und geheimen Projekte dieser Welt zu jagen, die selten das Gute als Motivationstrainer angeheuert haben. Wie gefährlich das allerdings sein kann, durfte nicht nur Julian Assange erfahren, nachdem er von der Öffentlichkeit auf links gedreht und dann halbverdaut aufs Pflaster erbrochen wurde (in diesem Satz stecken weder Urteil noch Interpretation der Anschuldigungen Assange gegenüber – lediglich eine Bewertung der medialen Horrorshow).

Vorhang auf!

Das Wikileaks-Projekt hat schmerzhaft aufgezeigt, welch Popanz eine Welt voller artifizieller Geheimnisse ist. Und so wenig Freude ich daran hätte, morgens von der Gestapo oder sonst einer Schweinepolizei geweckt und deportiert zu werden, so wenig Spaß habe ich an der Tatsache, dass unsere Welt von einigen wenigen Heinis regiert wird, denen es obliegt zu entscheiden, wer was wissen darf und welches Regime als nächstes infiltriert, zerbombt oder gekauft wird. Ich habe aus dem Heini-Lager so manchen Vertreter unterschiedlichster Couleur getroffen und mein Vertrauen in deren Weisheit wurde dadurch bislang nicht gestärkt. Was bleibt uns also? Wir können weiterhin der Illusion von Anonymität hinterherrennen oder das Wagnis einer Reise in die Transparenz auf uns nehmen. Die Entscheidung, ob wir in einer Welt des Misstrauens leben wollen, oder in einer des Vertrauens, steht an. Let’s make it a good one (siehe Anmerkung oben).

Im zweiten Teil der re:publica 12 Berichterstattung geht es um das doofe digitale Dorf und die wundersame Wandlung des Nerdkönigs, der seinen Forschungsschwerpunkt ins Ernsthafte verlagert hat, was bedauerlicherweise kaum jemand bemerkt. Demnächst auf diesem Blog.


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Kommentare

2 Antworten zu „re:publica re:dux – Part 1“

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  2. […] alles in den Äther, was uns so beschäftigt. Es ist unter Anderem diese Leichtfertigkeit, die Moglis Haltung unterfüttert und die seine Attacke so schmerzhaft […]

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