#undercover @re:publica XI – 2

Der König mit der roten Krone

Im Nordwesten der Republik dämmert ein wunderschöner Tag heran, in Berlin begrüßt mich grauer Regen, der den Schmutz auf den Straßen gerechter zu verteilen sucht, wie es sich für eine Hauptstadt gehört. Gewaltige Schlangen bei der Akkreditierung im Friedrichsstadtpalast, das WLAN ebenso hoffnungslos überbucht wie UMTS, Namensschilder müssen noch per Stift (!) um das Twitter-Pseudonym ergänzt werden – die digitale Gesellschaft schwelgt in Nostalgie und leidet fröhlich unter der technologischen Unterversorgung durch die Kommunikationsgiganten (wie viel Geld haben die noch gleich für die UMTS-Frequenzen rausgeworfen? Nur damit gerade mal das Einchecken über foursquare funktioniert?). So nimmt es nicht Wunder, dass der Netizen in mir eine bissige Anamnese der Inkongruenz zwischen den Wahnvorstellungen des Marketing und der tristen Wahrheit des mobilen Zeitalters erwartet. Was stattdessen kommt, lässt mich ratlos zurück: ein Vortrag zu Design Thinking! „Design ist zu wichtig, um es Designern zu überlassen“, sagt der vortragende Designer. Das hat die Wucht und Präzision, als würde Sigmar Gabriel sagen, Politik sei zu wichtig, um sie Politikern zu überlassen. Oder unser Sonnensystem sei zu wichtig, um es der Sonne zu überlassen. Das könnte George W. Bush gesagt haben. Weiß ich aber nicht genau. Ist auch egal.

Inwiefern kann das aber Motto einer Veranstaltung wie dieser sein? Ach so – der kluge Designer holt sich Meinungen von Leuten ein, die sein Designtes später verwenden müssen. So wie ein Möbeltischler des 16. Jahrhunderts. Zeit wird’s. Später wird das Ganze noch im Quatsch Comedy Club vertieft, in einem Workshop, der keinen würdigeren Ausrichtungsort hätte wählen können. Dort erfährt man dann, dass man durch gezielte Datenerhebung sogar gleich noch herausbekommt, was man wem als nächstes designen könnte. Dabei geht es weniger darum, was jemand braucht, sondern wie man ihm dabei helfen könnte, die Bedeutungslosigkeit seiner Existenz mangels Zeit nicht reflektieren zu müssen. Leider kommt niemand auf die Idee, mir ein Fliwatüt oder einen Materietransporter zu designen (#fail).

Zwischendurch ist dann noch ein interessantes Phänomen zu beobachten: da hat sich doch tatsächlich ein Unternehmer eingeschlichen, in Person des Chefs eines alternativen Energieversorgers (#lichtblick), der es wagt, das Publikum mit Berichten aus seinem Unternehmen und wie es versucht, die von der Bohème vor Jahren entwickelte und seitdem verinnerlichte 2.0-Kultur zu leben, zu belästigen. Vielleicht ist es einfach keine gute Idee, einer Community ganz selbstbewusst ihre Philosophie erklären zu wollen, vielleicht glaubt man auf dieser Veranstaltung dem Unternehmer aus Prinzip nix, schon gar nichts Innovatives, aber dennoch beschleicht auch mich ein eigenartiges Gefühl der Dissonanz zwischen „er hat ja Recht“ und „warum erzählt er das… hier“, obwohl ich das Konzept vom (schwarm-)intelligenten Powergrid nicht nur interessant, sondern für unsere Gesellschaft überlebensnotwendig finde. Wahrscheinlich rührt das Unbehagen daher, dass man hier Chamäleon-haft mit der einen umgebenden Masse verschmilzt und die Schwarmattidüde übernimmt. Wenn jetzt noch jeder das eine oder andere Implantat bekommt werden wir wie die Borg, nur cooler, weil wir keine Queen haben.

Dafür haben wir, wie bereits angedeutet, einen König. Den erkennt man daran, dass er eine Krone trägt (eine rote) und seine Kutsche direkt vor dem Palast abstellen darf. Und dass ganz viele Leute um ihn herumstehen. König Sascha ist gut zu seinen Untertanen und interessiert sich ganz in der Tradition anderer aufgeklärter Potentaten für die Wissenschaft. Sein Gebiet der Expertise ist dabei die Trollforschung und er lässt es sich nicht nehmen, das Auditorium mit den neuesten Erkenntnissen zu unterhalten. Mühelos schlägt er die Brücke zwischen scheinbar unaufgeklärtem Forschungsgebiet und Anwendbarkeit auf den Lebenshorizont seiner Untertanen. Doch leider schließt sich auch hier der Kreis nicht, von dem bereits morgens unklar war, wo er beginnt. Keine Perspektive, keine Vision, keine Relevanz für die öffentliche Sache (res publica, meine sehr verehrten Damen und Herren). Der Prince of Wales versucht wenigstens, seine Aufmerksamkeit einem gesellschaftlich relevanten Thema zu widmen, um die Zeit bis zu seiner Regentschaft sinnvoll zu überbrücken, aber vielleicht klappt’s bei ihm deswegen auch nicht.

Nach einem leckeren Falafel auf die Hand und etwas geselligen Beisammensein im Keller der Kalkscheune, endet der Tag wo er begonnen hat: im Bett, wiewohl in einem fremden, von freundlichen Spaniern, die in Berlin 5*-Hotel üben, bereitgestellten. Während das überreizte Bewusstsein allmählich gen Schlummerland dämmert, rekapitulieren die Medienfröschlein im Nachtmagazin den ersten Tag dieser Veranstaltung und bleiben ihrer Linie treu: König Sascha hält Hof und sein Gefolge schart sich bereitwillig um ihn.


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Kommentare

3 Antworten zu „#undercover @re:publica XI – 2“

  1. Carsten

    Großartig! Ich mag deinen Stil, Kai.

  2. […] weilte ich zwecks Wahrung der öffentlichen Sache an König Saschas Hof und berichtete darüber. Leider hatte ich es versäumt mich rechtzeitig um eine Audienz zu bemühen, denn ein […]

  3. […] weilte ich zwecks Wahrung der öffentlichen Sache an König Saschas Hof und berichtete darüber. Leider hatte ich es versäumt mich rechtzeitig um eine Audienz zu bemühen, denn ein […]

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