Unlängst weilte ich zwecks Wahrung der öffentlichen Sache an König Saschas Hof und berichtete darüber. Leider hatte ich es versäumt mich rechtzeitig um eine Audienz zu bemühen, denn ein Herrscher, der sich ganz ungeniert mit „Gockelfrisur, Halbargentinier, Feminist, für mich völlig selbstverständlich und logisch“ beschreibt, ist einer, den man kennenlernen sollte. Seither verfolge ich sporadisch seiner Majestät Dekrete, die er durch den Herold, womöglich gar den Seneschall unter den digitalen Medien verbreiten lässt. Und normalerweise denke ich mir was dazu, wie „och, ja, kann man so sehen“ oder „pfff, hmmm, naja“, mal auch „ach, herrje“ und manchmal ist sogar ein „hihi“ dabei. Alles in Allem sind des Königs Ausführungen genau so wie man sie von einem mit etwas Verstand gesegneten Potentaten erwarten darf: mit schön recherchierten Bonmots garniert, um kulturgeschichtliche Zitate gerankt, meist ohne erkennbare Position, ein bisschen um Aufmerksamkeit heischend, dabei immer scharfzüngig und zum Mitschunkeln.
Vor einigen Tagen sah ich ihm, von einer Verlinkung inspiriert, auf Sat1.de dabei zu, wie er einem dank Zwirbelbart ins Fernsehen gehievten Rechtsanwalt, dessen Selbstgerechtigkeit von seiner clownesken Art, anderen Leuten immer zur falschen Zeit ins Wort fallen zu müssen, herrlich konterkariert wurde, so dass ich aus dem Kichern gar nicht mehr herauskam, zu erklären versuchte, was es mit der elterlichen Aufsichtspflicht so auf sich habe. Leider konnte der Zwirbelbart vor lauter Ebenenverschiebung in seiner Argumentation selbst auch keine Argumente für seine These liefern, weshalb die Diskussion in eine dem Unterschichtenfernsehen (vgl. Harald Schmidt) angemessene Pöbelei ausartete. Alles leidlich uninteressant, aber der direkte Vorläufer seines jüngsten Dekrets auf S.P.O.N. – Die Mensch-Maschine mit dem Titel „Onliner gegen Offliner – Wer nicht meiner Meinung ist, muss dumm sein„, von welchem ich aufgrund der Überschrift annahm, es handele sich um ein „Best-of“ seiner Kolumne. Was ich dann aber dort lesen musste hat mich bei aller Sympathie und Toleranzvorsätzen gegenüber Andersdenkenden vor lauter Bigotterie aus den Schuhen gebloggt.
Vollmundig steckt König Sascha die Arena ab, in der er fortan diskutieren möchte. Da gibt es wissende Onliner und unwissende Offliner und die Onliner, zu denen fraglos auch der König selbst gehört, behandeln die Offliner herablassend. Dahinter steckt im Kern eine gute Beobachtung, nämlich die, dass Vordenker die Gruppe derer, denen sie etwas vordenken wollen, schnell aus den Augen verlieren und gemeinsam mit anderen Vordenkern gemeinsam um die Wette denken. Dass dabei manch einer seine gesellschaftlichen Wurzeln gegen überhebliche Standesdünkel eintauscht findet sich allerorts wo elitäre Grüppchen sich bilden, zu einer von denen – zumindest aus der Außenperspektive – auch der König selbst gezählt werden muss.
Was in der Anamnese durchaus noch Sinn ergibt, nämlich das Dilemma zwischen egalitärem Netz und elitärem Gerangel um Deutungshoheit aufzuzeigen, gerinnt in des Königs Feder schon beim Denken zu einer hasserfüllten, klumpigen Pampe.
Stein des Anstoßes ist der Vortrag von Gunter Dueck (Gunter heißt der Mann, Eure Majestät, nicht Günter), den ich in meiner Rückschau als die eigentliche Keynote der re:publica ausgemacht hatte. Und zwar nicht, weil ich Dueck-Jünger bin, sondern weil der Mann etwas erkannt und formuliert hat, was mich ebenfalls umtreibt. Erstens, dass das Bildungssystem nicht auf die gesellschaftlichen Anforderungen von morgen (wenn nicht sogar heute) reagiert, sondern sich am vermeintlichen unternehmerischen Bedarf orientiert und, zweitens, dass Arbeit sich aufgrund der Verfügbarkeit von Wissen verändert. Die Arbeitswelt wird sich dadurch verändern, genauso wie sie sich durch Henry Fords Ideen verändert hat, unabhängig davon, ob das gut ist oder nicht. Und, ja, es gibt bereits heute Berufe oder Tätigkeiten, die durch das Internet gewaltig an Bedeutung verlieren, zumindest für diejenigen, die Zugriff auf das Internet haben und mit den dort aggregierten Informationen etwas anzufangen wissen. Die asoziale Komponente und groteske Verhöhnung von Ausbildungsberufen, die Sascha Lobo ausgemacht haben will, mag darauf zurückzuführen sein, dass er den Vortrag auf den falschen Kernsatz reduzieren will („Glauben Sie nicht, wenn jemand eine Krankheit hat, dass er dann zehnmal mehr weiß nach zwei Stunden surfen als sein Arzt?“). Dabei geht es in Duecks Ansprache um etwas vollkommen anderes, nämlich die Veränderung der Gesellschaft hin zu einem System mit dem Fokus auf sozialer, emotionaler und kreativer Intelligenz, einer Gesellschaft, die (schon lange) nicht mehr zu großen Teilen aus Landwirten und Arbeitern besteht, sondern aus Professionals, die sich die notwendigen Soft Skills erarbeitet haben, obwohl das Bildungswesen sich so sehr dagegen sträubt, diese zu vermitteln. Diese Professionals stellt er den Unprofessionals gegenüber wie die Besitzenden den Besitzlosen unserer jetzigen Gesellschaftsordnung. An die Adresse der Professionals richtet er den Kernsatz seines Vortrags, aber eben erst nach Minute 40:
„Sie müssen jetzt was wollen, nicht für sich und für das Internet, sondern für alle… Jetzt haben wir die Professionellen […], also persönlich Gebildeten und die, die es noch nicht so weit gebracht haben. Und vielleicht ist man dann ein bisschen netter zueinander, so dass die Schere nicht mehr so groß wird.“
Ich unterstelle Sascha Lobo, ausgehend von seinem mir bekannten Oeuvre, dass er klug genug ist, Gunter Duecks Ausführungen zu begreifen, wenn seine Aufmerksamkeitsspanne denn für einen 40-minütigen Vortrag reichen sollte. In seiner Kolumne scheint aber eine ganz andere Form der Motivation durch, die es mir übel werden lässt und die sich in folgendem Satz manifestiert: „Den meistbeklatschten Vortrag der re:publica, der wichtigsten Konferenz der hiesigen Internetgemeinde, hielt der IBM-Angestellte Günter Dueck.“
Da hat ein IBM-Angestellter, also ein Büttel der Industrie, für seinen Vortrag mehr Applaus bekommen als der König selbst. Die größere Resonanz des Anderen mit dem „meistbeklatschten Vortrag auf der re:publica“ auf dessen Fähigkeit zur Anbiederung mit dem Publikum zurückzuführen, ist niveaulose Erdferkelei, zumal Lobos Vortrag über Erkenntnisse aus der Trollforschung fein ausgeklügeltes Entertainment war, inklusive freundlicher Publikumsbeschimpfung, dabei aber Verhöhnung und Erniedrigung Anderer und Anbiederung in Reinform. Ich will mich hier nicht auch unter die Grasnabe begeben und unterstellen, dass allein die Wortwahl „meistbeklatscht“ derart gallig durchscheint, als sei dem König die Krone grün geworden. Vielmehr scheint Lobo bemerkt zu haben, dass da jemand deutlich weiter ist als er selbst und ihm, dem König ohne Land, die Deutungshoheit abhanden kommt. Denn wenn man sich durch die – wie immer – anständig geschriebene Kolumne durcharbeitet, dann kommt Sascha Lobo mit den Worten von Hugo Ball zu einem Fazit, das die Duecks Vortrag zugrundeliegende Haltung genauestens beschreibt: „Eine der wichtigsten Aufgaben der Intelligenz ist es, den Blick der Nation dorthin zu lenken, wo die großen Ideen herkommen; Raum zu schaffen für diese Ideen und dem Lauf der Geschichte mit tausend offenen Sinnen knapp auf den Fersen zu folgen.“ Umso trauriger, dass Lobo von seinen eigenen Verfehlungen ablenken muss, indem er jemand anderem unterstellt, dieser sei ja noch schlimmer – nötig hätte er es nicht.
Und falls Sascha Lobo, so ihn diese Zeilen überhaupt erreichen, jetzt auf die Idee kommen sollte, hier schreibe jemand, der aufgrund seiner vergleichsweise geringen Reichweite neidisch sei: Dem ist nicht so. Ich gönne ihm seinen Erfolg von ganzem Herzen, aber ich will nicht, dass man auf die Idee kommt, er spräche auch für mich.
Autor von „Willkommen im Meer“ und „Krumme Dinger“, Netzmensch und Familienvater aus Oldenburg. Douglas-Adams-Fan. Nach einem schweren Schlaganfall im Mai 2015 Aphasiker auf dem Weg der Besserung.
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