Und nun?

Wohin soll die Reise gehen?

Ich muss gestehen, dass ich ein wenig überwältigt bin. Dachte ich bis letzte Woche noch, ich könnte hier ganz unbehelligt auf meiner Blogwolke herumlümmeln und gelegentlich kleine Giftpfeile über den Rand werfen, wurde ich von ungeahnter Resonanz und daraus resultierender Erkenntnis heimgesucht: Menschen lesen meinen Blog! Echte Menschen! Und Prominente! Und Trolle.

Früher dachte ich immer, dass diese Gelüste nach fünfzehn Minuten Ruhm, von denen Andy Warhol sprach, nur vom Fernsehen befriedigt werden könnten, aber damit war es wohl spätestens nach Aufkommen der Privatsender vorbei, weil da immer alle was anderes geguckt haben als die fünfzehn Minuten des Nachbarn. Und Ruhm ohne Zuschauer ist eben eine zweifelhafte Sache. Mittlerweile ist Fernsehen ohnehin auf dem Weg, den der Zirkus schon lange hinter sich gelassen hat. (Für alle jungen Leser: Zirkus war eine Tier- und Akrobatikshow in einem zugigen Zelt, in das man seine Kinder mitnahm, um seine eigene nostalgische Wehmut zu bedienen.)

Das Internet bietet im Gegensatz zum Fernsehen wundersame Möglichkeiten, die Resonanz des eigenen Tuns zu beobachten. So weiß ich zum Beispiel, dass Sascha Lobo meinen letzten Blogeintrag gelesen hat (und noch einen früheren), was ich angesichts der überwältigenden Flut von Geblogtem im Internet doch überraschend und schmeichelhaft fand. Er hat sich sogar die Zeit genommen, mir seinen von mir heftig kritisierten Standpunkt zu erklären und das kann ich nicht anders als hochanständig finde. Nur ist es nicht so, als verstünde ich seinen Standpunkt nicht – ich halte ihn lediglich für destruktiv.

Ich bemerke gelegentlich, dass ich von Menschen, sogar von guten Bekannten, angefremdelt werde, wenn ich erkläre, dass wir keinen Fernseher zuhause haben. Die meisten Menschen fürchten dahinter Gutmenschentum (Attila der Gutmensch, die Geißel des 21. Jahrhunderts) und beruhigen sich erst wieder, wenn ich den Fernsehverzicht damit begründe, dass ich mich außerstande sehe, den Konsum zu dosieren und früher häufig von dem Gefühl geplagt wurde, der Fernseher schaue mir mehr zu als ich ihm. Fernsehverzicht aufgrund eigener Schwächen ist okay – Fernsehverzicht aufgrund einer kritischen Haltung zum Fernsehen wird skeptisch beäugt, weil man sich damit von einem vermeintlich wesentlichen Bestandteil des gesellschaftlichen Diskurses entfernt und offenbar von Hochmut beseelt ist. Dabei weiß ich von gelegentlichen Hotelaufenthalten, dass im Fernsehen zu einem Großteil lediglich Diskursexkremente wiedergekäut werden, während die wenigen Sendungen, die sich bedeutsamen Themen widmen, kaum Resonanz finden.

Zirkus oder Fernsehen? Oder doch das gute alte Kasperletheater.

Das Internet bietet dem Fernsehen gegenüber nicht nur die Möglichkeit zur direkten Resonanzauswertung sondern auch zur Beteiligung am Diskurs. Es ist keine Überheblichkeit gegenüber Offlinern, wenn die Neugestaltung und -ausrichtung unserer Gesellschaft hier stattfindet. Es ist auch kein digitales Herrenmenschentum, wenn wir bemerken, dass neue Technologien und veränderte Formen der Vernetzung und der Kommunikation einen Haufen Berufe überflüssig machen werden. Und es ist keine Verhöhnung unseres Bildungswesens, wenn wir diagnostizieren, dass es unserer Kinder Zeit mit sinnlosen Dingen verplempert, nur weil irgendwelche Leute zu wissen glauben, was die Wirtschaft in zwölf Jahren an Kompetenzen abfragen wird.

Was wir erleben ist nicht die Spaltung unserer Gesellschaft in Onliner und Offliner. Was wir erleben ist das Ringen um Deutungshoheit. Deutlich erkennbar wird dies daran, dass der Gegenseite (in diesem Fall Gunter Dueck) ein falscher Tonfall oder, noch schlimmer, unlautere Absichten unterstellt wenn nicht gar angedichtet werden. Das Problem hierbei ist allerdings, dass die Spaltung der Gesellschaft sich nicht zwischen Off- und Onlinern vollzieht, sondern zwischen den Gewinnern und Verlierern unseres Bildungswesens. Und diese Spaltung steht nicht erst bevor.

Was können wir also tun? Wir können weiter darum ringen, wessen Einschätzung der Sachlage trefflicher ist oder in einem netteren Tonfall vorgetragen wird. Wir können aber auch die Vorteile unserer Vernetzung in die Waagschale werfen und aushandeln, wie sich die Gesellschaft weiterentwickeln soll. Wollen wir das System weiter so gestalten, dass es Gewinner und Verlierer geben muss? Oder wollen wir zumindest die Regeln fairer gestalten? Oder netter zu den Verlierern sein? Wir können diese Diskussion führen, weil wir vernetzt sind, nicht weil wir besser sind als die Offliner. Wir müssen diese Diskussion führen und, ja, wir sollten gelegentlich die Giftpfeile weglassen. Die Sache ist zu wichtig, um sie durch ständiges Verschieben der Diskursarena zu entwerten.


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