Papstpalast unter dunklen Wolken

Ein Tag im Leben eines Papstes

Hier noch ein schon älterer Text von Kai, der noch der Veröffentlichung harrte:

Ich muss gestehen, dass ich keinen Papst persönlich kenne und somit den folgenden Text bar jeder Detailkenntnis verfassen musste. Wobei es sich bei „verfassen musste“ um eine linguistische Zeitreise handelt, denn zum Zeitpunkt des Verfassens dieser zwei unscheinbaren Worte habe ich den Rest des Textes noch gar nicht ersonnen, so dass es richtig „verfassen werde“ heißen müsste. Allerdings bestünde dann die Gefahr, dass die geneigte Leserschaft sofort aufhört weiter zu lesen, weil sie davon ausgehen muss, dass der weitere Text noch gar nicht fertig ist und so stecke ich in einem furchtbaren Schlamassel.

Wenn wir aber mal ganz kurz und knapp, präzise und pointiert davon ausgehen, dass die Lesenden keinerlei Interesse an der eigentlichen Genese dieser Zeilen haben, sondern sie sich zu einem Zeitpunkt zu Gemüte führen da der Text in seiner Gesamtheit vorliegt, mögen derlei Betrachtungen auch als unnötig betituliert werden. „Richtig“, ruft da die versammelte Leserschaft, „das haben wir am Kontext erkannt. Erspare uns Deine jämmerlichen Zeilenfüller und schreibe, worum es eigentlich gehen soll in diesem Text, sonst gehen wir.“ Wie begonnen so zerronnen, fällt mir da ein, auch wenn das Sprichwort wohl anders lautet.

Da es sich bei dem kleinen Exkurs allerdings um ein subtiles didaktisches Döntje handelt, mögen die geneigten Leser noch einen Augenblick verweilen und das Stichwort „Kontext“ im Kopfe behalten, denn es wird noch wichtig werden. Doch zurück zum Papst.

Unser Papst wird allmorgendlich von vier Kardinälen geweckt. Der eine küsst ihm den päpstlichen Siegelring, auf dass der heilige Vater eingedenk seiner Insignien und Amtswürde erwachen möge, ein weiterer öffnet die Vorhänge und lässt frische Luft an das von Sorgen geplagte Haupt seiner Eminenz, der dritte bringt eine Kanne dampfenden Tees und die Tageszeitung, während der vierte noch schnell die puscheligen Plüschpantoffeln mit einer elektrischen Zahnbürste reinigt, bevor er sie am Fuße des Bettes abstellt. Danach müssen die Kardinäle wieder gehen und Schuhe putzen, Knöpfe annähen, des Papstes Korrespondenz sortieren oder Rosenkränze schnitzen. Unser Papst sitzt alsdann noch eine Weile verschlafen unterm Himmel seines Bettes und reibt sich die Äuglein mit der linken Hand, während die Rechte, den Henkel fest umschlossen, den Teebecher vor dem Gesicht seiner Durchlaucht hält, damit der päpstliche Odem den aufsteigenden Dampf vertreiben kann. Nach dem ersten Schluck wird dann der Becher auf dem Nachttisch abgestellt und die darauf am Abend abgelegte Brille zur Nase genommen. Nun lässt es sich vortrefflich aus dem Fenster schauen, wo der Papst den tirilierenden Vögeln bei der Balz interessiert, wenngleich auch kritisch, zuschaut. Erst dann widmet sich der gute Mann der Zeitung, blättert hin und blättert her, murmelt Dinge in seinen Bart, um schließlich, ganz Opfer seiner eigenen Überraschung, die Augen aufzureißen und aus voller Inbrunst in die Welt hinauszuschreien, was nun Thema sein soll in der päpstlichen Welt. Der Aufschrei lautete „Ganth unthweifelhaft eine Katathtrrrophe!“. Selbstredend wurde mit der eigenwilligen Schreibung dieser Exklamation der holprige Versuch unternommen, eine Eigentümlichkeit im Duktus unseres Papstes zu unterstreichen, womit wir versuchen, den Schleier seiner bislang geheim gehaltenen Identität ein wenig zu lüpfen. Doch genug gelüpft, bevor es gar noch kabarettistisch zugeht in diesem Texte.

Der Papst greift aufgebracht zum Glöckchen auf seinem Nachttisch und klingelt Sturm nach seinen Kardinälen, die auch prompt herbeigelaufen kommen. Die verblüffende Reaktionszeit legt den Verdacht nahe, dass die Kardinäle direkt vor der Tür standen, um des möglichen Gebimmels zu harren. Doch das findet der Papst nicht so ‚katathtrrrophal’, obwohl dieser Umstand doch wohl zu implizieren scheint, dass da ein paar hoch bezahlte, klerikale Fachkräfte den Großteil des Tages mit nutzlosem Herumlungern bestreiten.

„Brringt mirrr den Autht hierrherrr!“ herrscht der heilige Vater seine Kardinäle an, die sofort gemeinsam aufbrechen, um den natürlich sofort identifizierten Bruder Stefan zum Diktat herbeizuzitieren. Dieser sitzt alsbald mit zitternden Knien auf einem eigens von den Kardinälen bereitgestellten Schreibschemel und wartet auf die Eingaben des hohen Herrn. Und dieser spricht überlieferte Worte der Weisheit. Diese Worte nun gesammelt wiederzugeben würde vermutlich von der Leserschaft, die es bis hierher durchgehalten hat, wenngleich Hufe scharrend (an dieser Stelle hatte ich zuerst ‚hufescharrend’ geschrieben, aber da gab’s rote Wellenlinien von der Rechtschreibkorrektur), aufs Vehementeste abgelehnt werden, weshalb ich sie gerne zusammenfassen will. Im Großen und Ganzen hat seine Durchlaucht verkündet, dass die amtlich herbeigeführte Reform der anerkannten Orthographie das Land in den Untergang stürzt, weil man nun beim besten Willen nicht mehr sagen kann, dass der Literaturnobelpreis für Günther Grass auf eine angemessene wie durchdachte Weise von der Jury vergeben wurde, weil man das kostbare Wort ‚wohlverdient’ durch die ambivalente Formulierung ‚wohl verdient’, die eine ironische Note kolportiert, ersetzen muss. O je, was tun, jetzt wo Deutschland vor dem Abgrund steht? Das Beste wird sein, wir schreiben gar nicht mehr, weil’s ja missverstanden werden könnte. Natürlich gab es auch vor der Reform Ambiguitäten, aber die stellt der Herr Papst sehr gerne als dem Genpool behaftet dar, so dass es ja blasphemisch anmuten möge, dem heiligen Vater zu entgegnen, dass er da ganz furchtbaren Unsinn von sich gibt.

Der heilige Vater scheint aber von den komplexen Beziehungen zwischen Orthographie, Morphologie, Phonologie, Syntax, Semantik und Pragmatik in etwa soviel zu verstehen, wie ein anderer uns bekannter Papst von den Wonnen der durch Wasserbombenersatz herbeigeführten Empfängnisverhütung. Offenbar ist ihm nicht gewahr, dass Zweideutiges seltener durch das Beugen, Auseinanderzerren und Fehlbuchstabieren entsteht, als vielmehr durch fehlerbehaftete Kontextbildung. (Die aufmerksamen Leser, die jetzt ‚na sowas’ hauchen, weil sie den Kontexthinweis vom Beginn des Textes innerlich auflösen, sollten wissen, dass sie in Zukunft ‚na so was’ hauchen müssen, was zu bestimmt gar fürchterlichen Missverständnissen führen wird, über deren Ausmaß ich an dieser Stelle aus gesundheitlichen Gründen schweigen möchte, denn sonst gibt’s noch Magengeschwüre und wer braucht so was? Aber beglückwünschen möchte ich diese Leser dennoch, und zwar zu ihrer Aufmerksamkeit.)

Während der Papst noch redlich flucht, meldet sich Bruder Stefans Mobiltelefon, denn weitere Koryphäen haben den inneren und äußeren Aufschrei seiner Heiligkeit vernommen und haben das zutiefst aufrichtige Bedürfnis, sich zum Thema Orthographiereform zu melden, damit Bruder Stefan dies in seiner allmontaglich erscheinenden Postille dem Volke wie einen Spiegel vorhalten möge, wenn dieses debil anmutende Wortspiel an dieser Stelle gestattet sei. Wenn nicht, ist auch nicht schlimm, weil ich es nicht zurücknehmen werde. Das Vorhalten des Spiegels war übrigens in vergangenen Zeiten Aufgabe eines Hofnarrs, so dass die Narreteien, die hier dem Volke vorgespiegelt werden, vielleicht kein Zufall sind.

Im Bauche des Verfassers dieser Zeilen brodelt es gerade sehr stark, zum einen vor Appetit, zum anderen vor Wut über die intellektuellen Aussetzer eben jener Orthographiereformverweigerer. Ganz besonders schwillt mir der Kamm, wenn sich selbstgerechte alte Männer in der Öffentlichkeit nicht zu fein sind, einfach die alte Rechtschreibung wieder herbeizuführen. Warum denn eigentlich? Was mag dahinter stecken? Leider hege ich einen schlimmen Verdacht, der sich auch im privaten Umfeld immer mehr bestätigt. Es folgt nun also meine Ahnung, warum die Herren sich in der Öffentlichkeit so unvorteilhaft äußern, doch Vorsicht: es wird unbequem.

Im Jahre des Herrn 1995 war es glaube ich, dass von den Behörden verkündet wurde, dass die neue deutsche Rechtschreibung am 1.8.1998 in Kraft treten würde, wobei sie bis zum Sommer 2005 mit der alten deutschen Rechtschreibung gemeinsam Gültigkeit habe. Damals taten bereits große Teile des vermeintlichen Bildungsbürgertums ihren Unmut kund und auch ich war mir nicht zu schade die Drohung in die Welt zu schicken, ich werde mit sofortiger Wirkung ‚Thurm’ und ‚Thür’ wieder mit ‚th’ schreiben. Heute muss ich schmunzeln über meine derart lächerlich zur Schau gestellte Krawallbereitschaft, aber ich bin nun einmal ein glühender Anhänger der These, dass eine gewisse reflektierte Lernbereitschaft dem Zusammenleben mit anderen Menschen sehr zuträglich ist. Besonders viel Krawall in meinem Bekanntenkreis kam in den Reihen derer auf, die auch der alten Rechtschreibung überhaupt nicht mächtig waren und denen eine durch die Rechtschreibreform herbeigeführte Vereinheitlichung in der Schreibweise sicher gut getan hätte. Aber es war damals wie heute ganz schick, gegen die Reform und für die alte Rechtschreibung zu sein, die im Übrigen keineswegs von Moses auf Steintafeln dem Volke Israel überreicht wurde, sondern von verschrobenen preußischen Verwaltungsorthographen Anfang des letzten Jahrhunderts auf Grundlage der von Herrn Duden gesammelten und zusammen gestellten Regeln verordnet wurde. Walther von der Vogelweide hätte damals hörbar im Grab rotieren müssen, laut schreiend, dass man seine Texte niemals nach der Schreibung der preußischen Rechtschreibreform herausgeben darf – hat er aber nicht. Und auch heute rotiert niemand der großen Autoren der deutschen Literatur im Grabe. Die Rotierenden finden sich unter den lebenden Autoren, die Angst zu haben scheinen, dass man ihr Werk nicht mehr versteht, wenn es nur anders buchstabiert wird. Diese Sorge ist dermaßen an den Haaren herbeigezogen, dass ich nur mutmaßen kann, dass die Herrschaften sich einfach zu fein waren, sich in vergangenen Jahren mit der neuen deutschen Rechtschreibung zu befassen.

Faulheit und eitle Selbstgefälligkeit scheinen mitzuschwingen, wenn etwa Martin Walser verfügt, sein Werk dürfe nicht nach den Regeln der neuen Rechtschreibung gedruckt werden, weil … (hier kann der interaktive Leser irgend eines der drögen Anekdötchen einfügen, die diese schlauen Herren so absondern, wenn sie sich über die Reform echauffieren). Zunächst sei nämlich mal kurz vermerkt, dass Herr Walser vermutlich nicht die Zielgruppe seines eigenen Werks ist, d.h. er wird wohl kaum ständig seine eigenen Bücher lesen müssen. Wenn er aber nun befürchtet, seine heranwachsende Leserschaft könne seine Texte in anderer Schreibung nicht verstehen, dann hat er entweder Schwierigkeiten sich klar auszudrücken oder er unterschätzt das intellektuelle Potential seiner Leserschaft ganz erheblich. Auch frage ich mich, wie Herr Walser Übersetzungen seiner Werke in fremde Sprachen gegenüber steht, in denen möglicherweise ganz anders geschrieben wird, als es der Duden von 1880 nahe legt. Veröffentlicht Herr Walser im Ausland unter einem Pseudonym?

Andererseits entgeht ihm, wie vielen seiner Mitstreiter auch, dass es sich bei Rechtschreibung um Konvention handelt, die zu vereinfachen durchaus im Sinne des Schriftstellers ist. Da sich aber vermutlich auch die bekennenden Reformverweigerer diverser überregionaler Tageszeitungen und Wochenmagazine in den letzten Jahren nicht konstruktiv mit den Regeländerungen auseinandergesetzt zu haben scheinen, aus bloßer Faulheit, wie ich meine, kommt nun auf die heranwachsende Leserschaft tatsächlich ein großes Problem zu, da ihnen eine einheitliche Schreibung vorsätzlich verwehrt wird, und zwar vornehmlich von Leuten, die der Ansicht zu sein scheinen, dass ein Delphin kein in aquatischem Habitat anzutreffendes Säugetier mehr ist, wenn man ihn mit ‚f’ schreibt.

Und noch ein Wort zu den Herren Walser (ich verwende diesen Namen als Platzhalter, deswegen die Anrede im Plural), die ja eigentlich wissen müssten, dass ein kreativer Autor durchaus selber entscheiden kann, wie er etwas schreibt, ohne sich um Regeln zu scheren: In den letzten Jahren war doch wohl genug Zeit, sich mit konstruktiven Nachbesserungen an der neuen Rechtschreibung zu profilieren, denn durch und durch gelungen ist sie in der Tat nicht. Die herbei geschrieene und geschriebene Katastrophe vermag ich jedoch nur als Folge der den Alterstarrsinn ablösenden Demenz zu werten, obschon sich auch jüngere Schnösel aus der Welt der Parteipolitik medienwirksam vor den fahrenden Zug werfen.

Mittlerweile denken sich aber wahrscheinlich selbst die geneigtesten Leser, „Huch, da schreibt aber die Wut mit! Das gefällt uns nicht so sehr.“ Nun gut, möchte ich einräumen, Sie haben Recht, in der Tat, zu viel Wut ist nicht gut, aber mein Mütchen hat sich wieder gekühlt. Als frisch gebackener Verfasser eines Textes über die Rechtschreibreform, also nach dem Willen des Papstes gerade dem Ofen entschlüpft (dies ist tatsächlich auch die Bedeutung des Wortes ‚frischgebacken’, werter Herr Papst – der Rest ist Konvention und orthographische Irreführung) mag ich mich nun zurück lehnen und verkünden, dass die Wut verraucht ist, denn so wichtig, dass man darüber in Wut geraten darf, ist die deutsche Rechtschreibung wahrlich nicht. In einem Land, in dem Anführer von Volksparteien Unterschriften gegen die wie auch immer geartete Annäherung an andere Kulturkreise sammeln, haben wir weiß Gott andere Probleme, die unserer Aufmerksamkeit bedürfen. Außerdem liegt die Zukunft der deutschen Rechtschreibung ohnehin im hoffentlich kompetent programmierten Schoß der Rechtschreibkontrolle der Textverarbeitung. Mit einem Computer diskutieren die wenigsten Verfasser gerne und die roten Schlangenlinien unter schönen Worten stören gar sehr. Wohl dem, der weiß, wie man das abstellt.

Betten wir also unseren Papst wieder auf seine weichen Kissen und hauchen dem Aufgebrachten zur guten Nacht die Worte des begabten Gesellschaftskritikers Dieter Nuhr ins Ohr: „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten!“

 

PS: Ich entschuldige mich bei allen Lesern, die beim Lesen des Zitats ‚Huch, schon wieder isser wütend’ gerufen oder gedacht haben, weil ich Ihnen einen Schrecken eingejagt habe. Seien Sie beruhigt: ich habe mit einem gütigen Lächeln zitiert.

 

PPS: Ich war mir in diesem Text überhaupt nicht zu fein Orthografie mit ‚ph’ statt ‚f’ zu schreiben. Das ist auch bei mir noch so drin. Aber ich lerne. Und wenn man eines Tages verordnete, dies Wort solle fortan ‚Orthogravieh’ buchstabiert werden, so würde ich es nach diversen Fehlversuchen auch tun und mich vielleicht sogar daran erfreuen, wie hübsch das aussieht.

 

Titelfoto: pixabay


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Kommentare

Eine Antwort zu „Ein Tag im Leben eines Papstes“

  1. Denkst Du über die drastische Reform von 1996 nach oder beinhalten Deine Gedanken auch die nachfolgenden misslungenen Reförmchen?

    Mir scheint es am Besten zu sein, sich seither mehr oder weniger auf sich selbst zu verlassen, also auf einen eigenen, für gut befundenen Mix 🙂

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