„Wo arbeitet der denn heute?“ – „In Gedanken, Chef, ganz in Gedanken!“

Wen juckt's, ob ich hier arbeite…

Warum ich meinen Arbeitsplatz sowieso überall mit hinnehme, ob ich es will oder nicht, und warum ich nicht jeden Tag ins Büro gehen sollte. Mein Beitrag zur Blogparade von uns Netmedianern.

Kennen Sie das auch? Jemand fragt Sie auf einem geselligen Beisammensein, was Sie beruflich so treiben und nach den ersten drei einleitenden Sätzen sehen Sie in den Augen des Fragenden so einen eigenartigen Ausdruck aus dem emotionalen Bermudadreieck zwischen Argwohn, „Hätte ich bloß nicht gefragt“ und blankem Entsetzen? Das geht Ihnen auch manchmal so? Ehrlich? Willkommen in meiner Welt.

Ich habe vieles ausprobiert, vom Kommunikationsstrategen über Social Workplace und Enterprise 2.0 Consultant bis hin zum Organisations- und Unternehmensberater. Es hilft nix. Die meisten suchen fieberhaft nach der passenden Schublade und wenn sie die nicht finden, dann schlagen sie günstigstenfalls eine vor. Und so landete ich neulich bei einem Insider in der Schublade „Knowledge Worker“ und kam nicht wieder raus. Warum ich da aber überhaupt rauswollte, dämmerte mir selber erst später und ich glaube, es gibt da Klärungsbedarf.

Wenn wir heute von Wissensarbeitern reden, dann meinen wir Leute, die dazu beitragen, dass im Unternehmenskontext erworbene Informationen in einen für andere Kollegen nachvollziehbaren Kontext gebracht werden und, bestenfalls, auch noch nachvollziehbar und auffindbar abgelegt werden und somit im Unternehmen verbleiben. Ein Wissensmanager, nur mal so zur Abgrenzung, versucht ablageunwilligen Kollegen die Informationen zu entziehen, um sie Kraft seiner im harten Unternehmensalltag erworbenen Weisheit einzuordnen. Er ist also so etwas wie der Dienstleister unter den Wissensarbeitern.

Einige dieser Dinge tue auch ich immer mal wieder und doch würde ich den Kern meiner Arbeit anders beschreiben. Denn bei all der mittlerweile hysterisch anmutenden Suche der Unternehmen nach den vorgeblich immer rarer werdenden Wissensarbeitern, erscheint die Herkunft des Wissens doch mysteriös. Laut einer sehr populären Grafik ist Wissen der dritte Aggregatzustand von Daten (der zweite ist Information und der vierte ist Weisheit), was nicht heißt, dass man Daten erhitzt, um sie erst flüssig und dann gasförmig zu bekommen, denn das hilft ja auch niemandem wirklich weiter. Wenn aber Hitze in diesem Fall nicht der Anlass ist (zumindest nicht nur – mir raucht der Kopf kommt ja nicht von ungefähr), was ist es dann? Das Zusammenführen einzelner Daten zu einer Information geschieht nicht mechanistisch oder physikalisch und auch das Einbetten der Informationen in einen Kontext zwecks Transformation zum Wissen erfolgt nicht technisch sondern – Trommelwirbel – durch Denken!

… oder hier?

Denken ist eine ganz fantastische Sache, weil es uns Menschen dazu befähigt, ein weniger deterministisches Dasein zu fristen als unsere Mitbewohner aus Flora und Fauna in dieser Wohngemeinschaft, die wir Erde nennen. Denken ist die katalytische Wunderwaffe auf dem Weg zur Weisheit, die geheimnisvolle Reagenz, die aus Daten Informationen usw. macht. Und da wohl jeder nachvollziehen kann, dass nicht alle Menschen weise sind, scheint das Denken in irgendeiner Form pferdefußbehaftet.

Denn anders als der stoffliche Übergang von fest zu flüssig ist geistige Transformation ein schöpferischer, gemeinhin auch kreativ genannter Akt und mit Akten kreativer Art gibt es das Problem, dass sie nicht auf Zuruf vorhersehbare Ergebnisse hervorbringen können. Ich spüre da jetzt einen Leser unruhig werden und sagen: „Ich kann wohl auf Zuruf kreativ sein“ worauf ich entgegne: „Jaja, meinetwegen, geschenkt – aber außer Ihnen kann das eben keiner, wie auch außer Ihnen keiner in einer dreckigen, keimverseuchten Küche hygienisch unbedenkliche Speisen zubereiten kann. Und jetzt gehen Sie kreativ sein!“

Bevor ich mich jetzt in den Tiefen kognitiven Diskurses verliere, komme ich zum in der Überschrift angerissenen Thema und erkläre, warum ich nicht jeden Tag ins Büro kommen sollte. Denn, wissen Sie, ich bin kein Wissens- sondern ein Gedankenarbeiter. Ich erdenke Zusammenhänge und verknüpfe so spielerisch und leichtfüßig Daten zu Informationen, webe Informationen zu Wissen und spinne Wissen zu Weisheit wie andere Stroh zu Gold. Letzteres kann ich nicht, aber selbst wenn ich es könnte, würde ich nicht den ganzen Tag am Spinnrad sitzen, weil mir sonst die Zeit zum Denken fehlt. Und Denken muss ich den ganzen, lieben langen Tag. Ich kann leider gar nicht anders. Und da ich das schon lange mache ist mir tatsächlich aufgefallen, dass ich vor einem Computer sitzend gar nicht immer so gut nachdenken kann.

Das geht Ihnen auch so? Wie ist es hiermit? Manchmal brauche ich atmosphärische Abwechslung, um auf neue Gedanken zu kommen. Manchmal kann ich mich besser konzentrieren, wenn ich mich gedanklich von meiner Umgebung abschotten muss, zum Beispiel in einem Café. Und manchmal holt mich ein Gedanke während eines Sonntagsspaziergangs ein, so dass ich mich frage, ob ich während der Arbeit nicht auch hin und wieder spazieren gehen sollte. Als ich noch am Theater arbeitete, ging ich oft spazieren, um Text zu lernen und zur Irritation meiner Mitmenschen vor mich hinzubrabbeln. Machen Sie das mal in einem Großraumbüro!

Ein weiterer Haken am Gedankenarbeiterdasein: Sie können wunderbar mit Ergebnissen punkten, aber nicht mit Leistungsnachweisen. In meinem Terminkalender steht nicht „Montag 8:30 – 9.15 Uhr – Nachdenken“. Warum das da nicht steht? Richtig, weil wir Gedankenarbeiter sowieso die ganze Zeit nachdenken. Manchmal etwas intensiver und manchmal am liebsten ungestört. Aber das lässt sich nicht immer steuern und damit auch nicht lückenlos in die Tagesplanung aufnehmen.

Und damit sind wir auch schon zum Kernproblem durchgedrungen: Wenn ich als Arbeitgeber auf die Gedanken meiner Mitarbeiter Wert lege, dann muss ich für mich selber das 40-Stunden-Mietparadigma durchbrechen und meinen Mitarbeitern Vertrauen entgegenbringen. Gerade wenn es um die Lösung von Problemen geht, deren Lösung eben noch nicht existiert, kann ich schwerlich vorgeben, wie lange die Lösung dauert. Und wo und wann diese erdacht wird, sollte auch egal sein. Zu festen Bürozeiten geht das jedenfalls nicht sinnvoll.

Wenn in jüngerer Zeit immer häufiger die Rede davon ist, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem verschwimmen, dann ist das für den Gedankenarbeiter nichts Neues. Viele von uns haben auch schon am Strand gelegen und ein berufliches Problem betrachtet, das uns einfach nicht loslassen will. Und das scheint niemanden zu stören. Also wünsche ich mir, dass es auch niemanden stört, wenn ich meine Aufgaben an den für mich passendsten Orten erledige. Erreichbar bin ich schließlich überall.

PS: Wenn Sie glauben, das hier sei alles nichts Neues, dann googlen Sie mal „Gedankenarbeiter“ und erleben Sie Ihr blaues Wunder. (228 Treffer am 19.9.2011 um 16:30 Uhr)


Weitersagen:

Beitrag veröffentlicht am

in


Kommentare

4 Antworten zu „„Wo arbeitet der denn heute?“ – „In Gedanken, Chef, ganz in Gedanken!““

  1. Hallo,
    super Beitrag und du sprichst mir in vielen Punkten aus der Seele. Für mich war es zum Beispiel eine echte Befreiung, als ich mir selber erlaubt habe, endlich von diesem Büro ist Büro und Privat ist Privat Trip runterzukommen.

    Und ich finde das Anwesenheitsparadigma eine der hinderlichsten Sachen für jeden, der an neuen Prozessen an kreativen Themen arbeitet. Kreativität ist nicht terminierbar. Und neues kann man nicht via PT erzwingen.

  2. Franziska Lüdtke

    Du sprichst mir aus der Seele. Ich kann zum Beispiel sehr gut beim Duschen nachdenken, beim Radfahren, Spazierengehen, Schwimmen und ähnlichen Ausdaueraktivitäten. Anwesenheit im Büro und Schreibtischpräsenz werden völlig überschätzt. Meine besten Artikel schreibe ich im Bett vor dem Aufstehen oder auf dem Balkon (Wozu hat man schließlich einen Laptop?). Dann macht es mir auch nichts aus um sechs Uhr anzufangen. Was Du über das Denken in Cafés gesagt hast, sehe ich genauso. Und den Blick von Gesprächspartnern wenn ich meinen Beruf nenne, kenne ich auch. Vor allem, wenn ich mich dafür entscheide „Dramaturgin“ zu sagen.
    Erzwungene Anwesenheit im Büro zu mir nicht genehmen Zeiten, die mich davon abhalten in Ruhe zu frühstücken, erzeugen bei mir automatisch eine Renitenz, die mich dazu verleitet die ersten zwei Stunden mit irgendwelchem Quatsch zu verschwenden. Ich habe den Eindruck, dass ich nicht die Einzige bin, der das so geht.
    Vertrauen wird – im Gegensatz zu Schreibtischpräsenz – allgemein überschätzt.
    Ich hoffe, viele Chefs aller Branchen lesen (und verstehen) Deinen Text.
    Für eine schöne neue Arbeitswelt.

  3. Patricia Kruse

    1340 Treffer für Gedankenarbeiter am 26.04.2012 – man könnte fast meinen, du hast für die Verbreitung des Begriffes gesorgt.

  4. lao_tse

    Ha, cool. Danke, Patricia 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert