Zu den unwiderlegbarer Beweisen für die Globalisierung müssen sicherlich die Trollmigrationsbewegungen der letzten Jahre gezählt werden. Waren die Trolle früher noch mit dem Foltern von Heinzelmännchen in schneeumstobenen skandinavischen Birkenhainen ausgelastet, zogen sie vermutlich im 18. Jh. gen Süden und begannen im Jahre 1947 mit dem Bau von Automobilen. (Da Trolle in Schweden nicht der Meldepflicht unterliegen, zählt die Stätte größten Trollwirkens laut Wikipedia noch immer nur 57 Einwohner.) Als schließlich abzusehen war, dass die Trollmobile keine Zukunft mehr haben, schlossen sich viele Autotrolle ihren Cousins, den Foren- und Internettrollen an. Die Trollforschung, u. A. sachkundig betrieben von Sascha Lobo, beschäftigt sich mit den Auswüchsen dieses Aufeinandertreffens.
Zwischen den Trollstämmen gibt es, wie in jeder anständigen vorzivilisatorischen Schwellenkultur, Stammesfehden, deren Reichweite im digitalen Zeitalter ubiquitär genannt werden muss. Zuletzt manifestierte sich dies anlässlich des Todes eines der Gründer von Apple Computer Inc., heute nur noch unter Apple Inc. firmierend.
Wenn man aus den auf Steve Jobs verfassten Nachrufen versuchen sollte, eine posthume Charakterisierung des Mannes vorzunehmen, sollte man sich nicht wundern, wenn man hernach die geschlossene Psychiatrie sehr gründlich von Innen studieren kann. Wer da nicht alles was zu sagen kann und muss ist schier unglaublich. Anekdoten aus einem 17 Jahre alten Buch müssen als Munition für Angriffe gegen „Der Mann war ein Genie“-Attacken herhalten, die wiederum von Menschen lanciert werden, für die das iPhone die Krone der Schöpfung darstellt. Ich bin so dermaßen versucht eine Studie zu starten, um herauszufinden, wie viele der iPhone-Apostel (oh-my-gawd-it’s-so-easy-to-use) damals über meinen ersten Mac gelacht haben. Naja, jedenfalls waren wir früher Apple-Jünger und lauschten den Worten der Macevangelists wie Guy Kawasaki – heute gibt es stattdessen den drolligen Begriff des Apple-Fanboys, der vorzugsweise von Leuten verwendet wird, die sich vor Google-Fahnen mit echt rebellischen T-Shirts fotografieren lassen und dazu unreflektierte Gedanken unter dem Vorwand der Systemkritik in den Äther schmieren.
Ich weiß jetzt auf jeden Fall, dass Apple chinesische Wanderarbeiter ausbeutet. Das ist als singuläre Schuldzuweisung ein bisschen befremdlich, denn als der Macintosh noch in den USA gebaut wurde haben alle Apple-ist-böse-Leute sich über den Preis dieser Maschinen beschwert und haben den Gedanken an eine elegante Form des Computers weise lächelnd zu Grabe getragen.
Das wirklich Befremdliche an der ganzen Steve-Jobs-ist-tot-und-alle-die-sich-dazu-äußern-sind-bigotte-Apple-Fanboys-Nummer ist aber die Unfähigkeit der Kritiker zu erkennen, warum Menschen sich in der Öffentlichkeit zu irgendeiner Form von Trauer bekennen, obwohl… nun, lest selbst, liebe Leser:
„Der Mann hat denjenigen, die es sich leisten können, revolutionäre technische Geräte in die Hand gegeben. Mehr aber auch nicht“, schrieb Manuel Gall auf Google+, worauf ich entgegne, das ist doch aber auch schon mal was, oder?
„Stimmt schon…“, sagte Manuel, „aber auch das rechtfertigt nicht diesen Kult. Ich finds generell immer ziemlich übertrieben wie viele auf das Ableben einiger Personen reagiern nur weil sie im Rampenlicht standen. Das schiebt den Tod von „normalen“ Personen so ins „Unbedeutende“ find ich.“
Abgesehen von dem Umstand, dass auch Steve Jobs eine normale Person war, hat ein Kult nie eine Rechtfertigung. Ein Kult entsteht auch nicht um die demokratisch beschlossen wichtigsten Dinge im Leben, sondern um Dinge und Überzeugungen, die Resonanz erzeugen. Die Bedeutung eines Todes ist davon aber nicht berührt. Aber schaun ma mal weiter, denn eigenartige Gedanken äußert auch Leserbriefschreiber Markus Meister in der taz: „Der Tod von Steve Jobs ist natürlich tragisch wie jeder frühe Krebstod. Der Hype um sein Ableben und die Verehrung für einen Unternehmer, der keines seiner Produkte selbst erfunden hat, die er vermarktete, und diese Artikel in China von Wanderarbeitern unter unmenschlichen Bedingungen herstellen ließ, ist albern, erschreckend, steht aber für unsere komische Zeit, wo das virtuelle Leben zur Religion geworden ist.“
Das virtuelle Leben, lieber Herr Meister, ist weder Religion, noch albern oder erschreckend. Es ist, aufgepasst, nicht einmal virtuell, nur weil das Internet damit zu tun hat. Der Herr Jobs ist in Echt gestorben, nicht virtuell, und das ist auch echt traurig, egal ob wir ihn kannten oder auch nicht. Ihm die alleinige Schuld an den Zuständen in China zukommen lassen zu wollen ist hingegen eine ziemlich virtuelle Entschuldigung für einen Gedankengang.
Auf die Spitze aber treibt es Martin Thielecke am 13.10.2011 auf Google+:
„Liebe Apple-Fanboys:“ (Liebe wer?)
„Kennt ihr schon Dennis Ritchie? Nein?“ (Äh, ja, doch.)
„Er ist mitverantwortlich für den Unterbau eures Klickibunti-Systems“ (Im Kontrast zu Googles Android Command Shell?)
“ – er schrieb nämlich mit Ken Thompson zusammen das erste UNIX. Außerdem hat er den Vorläufer eurer „Lieblingsprogrammiersprache“ ObjectiveC gebaut – nennt sich C. Wäre er nicht gewesen, sähe euer Betriebssystem heute anders aus.“ (Äh, nee, sähe es nicht. Es würde sich nur anders verhalten.)
„Er starb vor wenigen Tagen, aber bekam er eure Aufmerksamkeit? Nein. Ihr betet ihn auch nicht an. Wahrscheinlich, weil er „nur“ das gebaut hat, was ihr nicht seht, aber ohne das der ganze Kram nicht läuft. Also ist er für euch unwichtig. Das nervt.“
Nein, Martin. Was nervt ist, dass du im Namen der Google-Fanboys Leute angreifst, die andere Mobile Devices benutzen als die, die du am duftesten findest. Die Verwendung des Begriffs Klickibunti ist in diesem Zusammenhang übrigens nicht viel mehr als Ausdruck einer an klinische Schizophrenie grenzenden kognitiven Dissonanz. Woher du deine moralische Überlegenheit beziehst, als Google(!)-Fanboy Benutzer von Apple-Produkten vollzugeifern, weil sie es schade finden, dass der Mensch, der ihnen diese Produkte vorgestellt hat, in einem recht unstattlichen Alter an den Folgen einer fiesen Krankheit verstorben ist, könnte vielen heranwachsenden Psychologen helfen, die Mysterien menschlichen Treibens zu entschlüsseln. Warum nur ‚Boys‘ Trauer empfinden können, wird wohl auf ewig ungeklärt beiben.
Den Tod Dennis Ritchie’s finde ich genauso traurig wie den von Steve Jobs. Aber nicht, weil er „nur“ [sic] das gebaut hat, was ich nicht sehe. Er ist auch nicht unwichtig, aber er ist eben auch nicht so bekannt gewesen wie Steve Jobs und hat trotz seiner Verdienste um die Verbreitung des Computers in nicht auch nur annähernd so vielen Menschen Resonanz erzeugt.
Übrigens war ich auch ob des Todes von Adrian Biddle traurig, obwohl der Film, in dessen Abspann ich von seinem Ableben erfuhr, mit Natalie Portman war, die sicher auch etwas bekannter sein dürfte. Wenn Natalie eines fernen Tages das Zeitliche segnet wird das mehr Resonanz erzeugen als der Tod eines DoP’s, selbst wenn er einer meiner Lieblings-DoPs war. Ich möchte vor Scham im Boden versinken, sollte ich im Greisenalter einen Trollpost zu diesem Thema verfassen.
Fragen wir uns doch lieber mal, warum überhaupt der Tod eines uns privat nicht bekannten Menschen uns überhaupt traurig stimmen kann. Warum? Resonanz! In diesem Fall scheinen die Dinge so zu liegen, als habe Mr. Jobs in den Leuten, die es doof finden, dass andere Menschen ob seines Todes traurig sind, auch erheblich resoniert.
Also, liebe Trolle: geifert nicht gleich los, sondern ertragt doch einfach mal das Verhalten anderer Leute, selbst wenn es das Eure nicht ist. Fühlt euch gerne überlegen – das ist okay. Aber stört nicht andere bei ihrer Trauerarbeit, nur weil ihr die Notwendigkeit nicht versteht. Trauer hat etwas damit zu tun, dass Resonanzen zukünftig nur in der Erinnerung stattfindet. So einfach ist das.
Autor von „Willkommen im Meer“ und „Krumme Dinger“, Netzmensch und Familienvater aus Oldenburg. Douglas-Adams-Fan. Nach einem schweren Schlaganfall im Mai 2015 Aphasiker auf dem Weg der Besserung.
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