Erst jüngst hatte ich in einem Anfall von Selbstreflektion bemerkt, dass ich der letzten Bundestagswahl den Zustand der politischen Parteien messerscharf analysiert hatte und wollte mich darauf auf mein Politkorrespondentenaltenteil zurückziehen.
Eine neue Partei ist aufgetaucht, die tatsächlich einiges anders machen möchte, die Kompetenz von den Kompetenten einholt und sich breite Meinungsbilder zu Gemüte führt, diese verdaut und in Politik für ihre Wähler umzuwandeln gedenkt. Lauter Dinge, die einer Demokratie gut zu Gesicht stehen, vor allem einer, die von Parteikaspern angeführt wird, deren einzige Kompetenz darin zu bestehen scheint, neuen Trends hinterherzulaufen, um sich genügend Stimmen sichern zu können, damit es die nächsten vier bis fünf Jahre mit dem Trends hinterherlaufen auch wieder klappt. Zwischendurch muss man auf hohle Fragen sinnleer antworten und dabei möglichst unverbindlich bleiben – sonst holt einen das Gesagte womöglich wieder ein, wenn es nicht mehr trendy ist. Und natürlich muss man spontan und sofort zu allen Themen sachkundig klingendes in Form einer Expertenmeinung äußern können.
Nun war mein Verständnis hinsichtlich dieses geistlosen Geplappers, dass es um das Vollmachen der Sendezeit redaktionsarmer Nachrichtensendungen auf Grundlage eines Zunftabkommens zwischen medialer und politischer Gewalt ginge. Auch dachte ich, die Inhalte dieses Vertrags seien Unterrichtsgegenstand eines jeden Journalistenseminars, aber da scheine ich mich getäuscht zu haben. Entweder das oder – ich wittere einen Skandal – die Süddeutsche Zeitung beschäftigt Undercoverzivilisten als Journalisten.
Am 11.1.2012 schrieb der Korrespondent Thorsten Denkler einen Kommentar zur mangelnden automatischen Auskunftbereitschaft der Piraten, die es sich doch tatsächlich trauen, in der Öffentlichkeit Bedenken zu äußern, sich zu Themen mitzuteilen, die sie im Detail noch nicht durchdrungen haben. Als Beispiel führt Herr Denkler „[d]ie europäische Euro– und Schuldenkrise“ an, „bei der Hunderte Milliarden Euro bewegt werden, über die Regierungschefs gestolpert sind, ganze Volkswirtschaften in Gefahr geraten und bei der täglich neue Hiobsbotschaften die Märkte erschüttern.“ Herr Denkler bemängelt, dass die Piraten dazu keine Meinung hätten, wobei er offenbar Meinung haben und Meinung äußern verwechselt.
Seine Bedenken scheinen zu sein, dass in unserer Zeit „der immer schnelleren Entscheidungsprozesse“ Politiker fertige Meinungen haben müssten, weil sie sonst ihre Entscheidungen eben nicht schnell genug treffen könnten. Das ist natürlich unglaublich hanebüchener Unfug. Zum Thema Eurokrise geraten in den seriösen Talkshows, die man leider fast nur noch im Radio auf ausgewählten Sendern präsentiert bekommt, selbst die ausgewiesenen Experten, die sich im Gegensatz zu Politikern, denen sie als Berater zur Seite stehen, ernsthaft mit der Materie beschäftigen und Folgen und Tragweite politischer Entscheidungen sorgenvoll zu durchdenken sich mühen, schwermütig ins Grübeln.
Mir bereitet es eher große Sorgen, zu welch komplexen Themen sich Politiker spontan zu äußern erdreisten, aber wie bereits erwähnt ist das Vertragsgegenstand des oben genannten Abkommens. Bitte ganz dringend mal lesen, Herr Denkler.
Autor von „Willkommen im Meer“ und „Krumme Dinger“, Netzmensch und Familienvater aus Oldenburg. Douglas-Adams-Fan. Nach einem schweren Schlaganfall im Mai 2015 Aphasiker auf dem Weg der Besserung.
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